Persönliche Musikgeschichte, Teil 1

“When the act of reflection takes place in the mind, when we look at ourselves in the light of thought, we discover that our life is embosomed in beauty. Behind us, as we go, all things assume pleasing forms, as clouds do far off. Not only things familiar and stale, but even the tragic and terrible are comely as they take their place in the pictures of memory”.

       [Spiritual Laws (Auszug), R.W. Emerson]

Hier schreibe ich in mehreren Teilen über meine Musikbegeisterung, über Bands, Konzerte, Festivals, aber eher mit dem breiten Strich als dem Blick aufs Detail. Ich verzichte auf Links zu den Bands (offizielle oder Wikipedia-Seiten) – das kann man bei Bedarf schnell selbst aufrufen.

Ich bin ein Kind des “Summer of Love” (1967), wenn auch im kalten Februar davor geboren (in die schwarze Kälte hinein <harhar> 😉). Musik war in meiner Kindheit eher die Radiomusik im Hintergrund und die Blasmusik bei Dorffesten, das heißt, meine Eltern pflegten keinen speziellen Musikstil und hörten nicht (mehr) bewußt Schallplatten. Meine Mutter zeigte mir immer wieder mal ihre schon recht umfangreiche Schallplattensammlung (Schlager-only), aber die verstaubte vor sich hin. Komisch…

Für mich beginnt “Musik” als besonders hervortretendes Element für mich als Kind ca. 1978, also mit 11. Erste Lieder, die mir von damals in Erinnerung geblieben sind: Video killed the Radio Star (Bruce Woolley), By the Rivers of Babylon (Boney M.), Tragedy (Bee Gees), vieles von Abba. (Ja, OK, auch Das Lied von Manuel von Pony. 🙄 )

Ich wünschte mir zu Weihnachten einen Radiorecorder und begann, meine Lieblingslieder aus den Radiosendungen heraus auf Kassetten aufzunehmen. Hier galt aber auch für mich bereits das, was ich durch die Jahrzehnte immer wieder erlebt habe: Wer nur auf das reguläre Radioprogramm Zugriff hat, der wird viele musikalische Stile nie entdecken, weil sie keine “air time” haben. Im Radio, das ich hörte, lief kein Punk, kein Post-Punk…
(Ich habe durch Zufall ein altes Foto gefunden, wo man den Radiorecorder samt meinen ersten orange-schwarzen Kopfhörer sehen kann, s. rechts.)

New Romantic

Aber: Die “New-Romantic“-Welle war dann doch etwas Besonderes, denn diese Bands wurden gespielt – vielleicht weil sie eben doch zum Teil “massentauglich” waren. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie und wann um 1979 es passierte, aber irgendwann trat plötzlich aus dem Pop-Gedudel diese Musik hervor. Adam & the Ants überraschten mich mit dem Album Kings of the Wild Frontier und der Folge-Single Stand & Deliver. Ich wurde zum ersten mal “Fan” einer Gruppe. 🙂
Die Wurzeln der Band lagen im Punk, die Musik war gitarrenlastig und wurde zu Anfang von zwei Schlagzeugern angetrieben. Und natürlich kam das exzentrische Outfit Adams hinzu.

Musikjournalist Mick Mercer sieht diese Band, wie auch Ultravox oder Visage, meine anderen Favoriten dieser Zeit, als Wurzeln der Gothic-Musik. Mercer hebt hervor, daß diese Gruppen sexuelle Untertöne in ihrer Musik und einen Sinn für ‘romantic mysticism’ hatten (History of Gothic, Part I, Zillo 6/95). Dabei verweist Mercer speziell auf die ‘Ant People’, die Fans von Adam and the Ants, die seiner Auffassung nach durch an ihrem “Helden” orientierte Kleidung eine ‘tribal culture’ herausbildeten, konkret einen Mix zwischen Piraten- und Indianer-Look. Mercer schließt daraus, daß man auch die Gothic-Musik als ‘real tribal cult(ure)’ bezeichnen könne. (Ja, das war lange vor Diskussionen um “kulturelle Aneignung”.)

In einem Artikel für das Buch Gothic 3 von Peter Matzke und Tobias Seeliger (Hrsg., Berlin 2002) präzisiert Mercer, für ihn seien Gloria Mundi und dann Ultravox (die Prä-Midge-Ure-Phase) die ersten Goth Bands gewesen, gleich darauf folgte der von ihm sehr geschätzte Adam Ant, der “Sex und Humor”, aber auch dunkle, z.T. in den S/M-Bereich reichende Themen aufgegriffen habe (man höre z.B. Beat my Guest oder Red Scab).

Ich blieb dieser ‘New-Romantic’-Bewegung treu, hörte ein breites Spektrum aus Duran Duran, Bowowow, Spandau Ballet, A Flock of Seagulls, ABC, auch Bronski Beat oder die frühen Depeche Mode, hier speziell “Construction Time Again”. Auch blieb ich Fan von Adam Ant, bis dieser mit “Vive le Rock” seine Solokarriere startete und dabei den Musikstil so änderte, daß er mir nicht mehr gefiel. Neben gitarrenbetonten Künstlern mochte ich auch elektronische Musik. Ich kann mich an eine Art Sonderheft ca. 1980/81 erinnern, in dem der vermeintliche “Kampf” zwischen Gitarren- und Synthesizer-Musik thematisiert wurde. Ich mochte beides, im Elektronik-Bereich z.B. Orchestral Maneuvres in the Dark (OMD), ganz speziell die schon erwähnten Ultravox (die ich im Rückblick letztlich vielleicht noch mehr mochte als Adam and the Ants, auch weil ich sie heute noch höre, Adam nicht mehr), auch The Human League, Visage (das 1980er Album rauf und runter gehört) oder Soft Cell. Ich weiß noch, wie meine Mutter deutlich irritiert schaute, als ich ihr die LP “Non-stop Erotic Cabaret” unter die Nase hielt. 😂
(Schon damals war Musik Flucht in eine andere Welt, hier speziell auch eine Welt, zu der meine Eltern gar keinen Zugang hatten (und haben sollten).)

Musikjournalist Ecki Stieg schrieb im erwähnten Buch von Matzke/Seeliger dazu:

„Es ist heute kaum mehr vorstellbar, dass avantgardistische Popmeisterwerke wie ‚Dare‘ von The Human League oder Soft Cells ‚Non Stop Erotic Cabaret‘ die Charts weltweit anführten! (Mit ‚avantgardistisch‘ meine ich natürlich nicht die Hits wie ‚Don’t you want me‘ oder ‚Tainted Love‘, sondern die [damals!] ebenso gefeierten Songs wie ‚Sex Dwarf‘ oder ‚I am the Law‘, die damals zum guten Ton jeder Disco gehörten.“

Mein allererstes Konzert war im übrigen eines aus der Spätzeit von Ultravox (Düsseldorfer Philipshalle (heute Mitsubishi Electric Halle), 1986), aber dennoch ist es ein bleibendes Erlebnis gewesen (Setlist). (Konzerte – warum so spät? Nun ja, ich lebte mitten zwischen Großstädten mit je einer Stunde Fahrt nach Norden oder Süden. Und: in meiner “peer group” waren Konzertbesuche damals (noch) kein Thema.)

“This new rave, Steve Strange etc. is nothing more or less than glam rock that’s opened the dictionary by chance at ‘romantic’ rather than ‘bi-sexual’” wrote Julie Birchill in one of her typically barbed dispatches in The Face magazine. But the ‘new rave’ was so much more than that. Steve Strange’s Visage encapsulated the spirit, motion and technogroove of the moment. They were gloriously vain, atmospheric, ambient, pale, interesting metropolitans making industrial dance rock for misunderstood outsiders everywhere.”

     [S. Mills, sleeve notes for Fade to Grey – The Best of Visage]

Punk Goth Time

Für den schon erwähnten Mercer waren Bands wie Adam and the Ants (vom Punk kommend) Standbein einer neuen Entwicklung, hinzu kamen dem Glam Rock zugerechnete Künstler wie David Bowie oder T-Rex. Aus der Mischung der Stile entstanden Bands wie UK Decay, Bauhaus, Danse Society, Southern Death Cult oder X-Mal Deutschland, die einen neuen, doch im Punk wurzelnden Musikstil spielten. Mercer spricht von der Punk Goth Time (späte 70er, frühe 80er).
Im o.e. Buch Gothic 3 führt er aus, der Punk habe zu einer Art kulturellem Reset geführt, der einen musikalischen Neuanfang möglich gemacht habe. Er meint die im Punk wurzelnden Bands, die aber doch zu Bowie oder Roxy Music schauten und gelegentlich auch einen Hang zu “kitschiger Discomusik” hatten.
Diese ganze Entwicklung sei möglich gewesen, weil es nun ein Publikum für diese neue Art von Musik gegeben habe. Die Fans hätten sich per Mund-zu-Mund-Propaganda und über Fanzines informiert. Man sei eher zu Konzerten als in Clubs gegangen.

Wer Französisch spricht (oder zumindest lesen kann), dem sei auch “Gothic Rock. Une Anthologie en 100 Albums, 1979-2000” von Victor Provis empfohlen (Le Mot et le Reste, 2021). Er beschreibt gerade zu Anfang sehr gut den musikalischen baßbetonten Stil:
“Ici la basse accède au range d’instrument primordial. Elle est mise en avant, elle maintient la ligne mélodique, elle joue des notes plus aiguës et de manière plus aggressive.”
(Der Baß wird zum primordialen / urwüchsigen Instrument, er wird in den Vordergrund gestellt, gibt die Melodie-Linie vor und spielt ‘akut’ und aggressiv. // Dazu höre man z.B. mal in Lucretia my Reflection in der Version von Love Like Blood rein, wo der Baßlauf schön powert.)

Mercer verortet den Start von Goth 79/80, aber als die Sisters und The Mission ca. 1986 im Mainstream angekommen waren, sei dieser Trend zu Ende gewesen (!). Ihm sei, so Mercer, früh klar gewesen, daß Goth nicht der “nächste große Trend” sei. (Ich weiß nicht, ob ich ihm da 100% zustimmen würde, aber heutige Ü50s können was mit “New Romantic” anfangen und Bands aus den 80ern benennen, aber bei “Gothic Bands” wird es schwer.)

Goth’ – als Begriff – deshalb, weil diese Gruppen ‘dark themes’, dunkle Motive in ihrer Musik verarbeiteten, aber auch die diese aufgreifenden Fanzines einen dunklen Stil pflegten, der Motive aus Horror, Tod(eskult), Vampirismus bezog. Diese frühen Bands und die ‘Szene’ drumherum (in Deutschland sprach man auch von den “Wavers” und dem New Wave) lernte ich zu dieser Zeit nicht kennen, da im Radio, wie erwähnt, nur das gespielt wurde, was nicht zu weit vom Mainstream entfernt lag (was ja heute immer noch gilt) und meine Info-Möglichkeiten, was solche Musik anging, begrenzt waren.
(Nebenbei: ich besuchte ein Gymnasium einer westdeutschen Kleinstadt. Die meiste Zeit meiner Pubertät konnte ich mich entscheiden, ob ich zu den (sehr zivilen) Punks oder den Poppern gehören wollte. Waver – mit Röhrenjeans, spitzen Schuhen und dunklen Mänteln – traten hier erst um 1986 auf.)

Auch als ich dann die Sisters entdeckte und mit einer Freundin auf Friedhöfen abhing, fühlte ich mich nicht als “Waver”, sondern verband das noch immer mit den New Romantics. Tatsächlich verwenden einige diese Begriffe synonym, was Sinn macht.

Ein Freund fragte damals: “Warum rennt ihr bloß immer auf Friedhöfen rum?” Ich habe ihm dazu in einem Din-A4-Schulheft eine ca. 20-seitige Ausarbeitung über die Romantik (unter besonderer Berücksichtigung des Friedhofs als romantischem Rückzugsort, wo sich die Suche des “romantischen Helden” erfüllt) geschrieben. Ich glaube, er hat es nicht verstanden.

Gute Nacht für heute. Rush out.

[Teil 2]

5 Gedanken zu „Persönliche Musikgeschichte, Teil 1“

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