Reid: I’m thinking of ending things (Roman)

Über dieses Buch bin ich in einer Reddit-Diskussion gestolpert, in der es um Bücher ging, bei denen man schon von Anfang an spürt, daß da irgendwas so gar nicht stimmt. Zugegeben: das ist hier – aus meiner Sicht – nicht der Fall, denn man beginnt doch erstmalig am Ende der Autofahrt, diese Dinge wahrzunehmen. ‘Wieviel soll ich spoilern?’ – diese Frage war hier zentral. Ich habe mich für ‘mittelgradig’ entschieden und löse das grundlegende Thema nicht auf.  Ich habe den Roman auf Deutsch gelesen (‘The Ending’), da das englische eBook gerade wegen der Netflix-Verfilmung deutlich teurer ist.

Am Anfang des Romans steht eben diese Autofahrt: Jack und seine relativ neue Freundin fahren zwecks ‘Vorstellung’ zu seinen Eltern aufs Land. Die Geschichte ist aus der Perspektive dieser ungenannten Freundin erzählt, die die Fahrt auch für Rückblicke z.B. aufs Kennenlernen nutzt. Dabei erwähnt sie mehrfach, daß sie sich mit dem Gedanken trägt, Schluß zu machen. Doch dieses Aussage, ‘I’m thinking of ending things’, die ich zunächst tatsächlich als Nachdenken über einen Suizid interpretierte, ist doppeldeutig…
Erstmalig stolperte ich über Jakes komisches Verhalten beim Eintreffen auf der Farm der Eltern. Es ist eisig kalt, aber er führt die Freundin außergewöhnlich lange über den Hof, um ihr alles zu zeigen.
Nächster ‘Knackpunkt’: in Jakes Kinderzimmer steht ein Kinderfoto, das die Freundin an sich selbst erinnert. Jake besteht darauf, daß er das sei. Später die Szene im Keller, die Staffelei, Zeichnungen, das ist sehr gut beschrieben, weil insbesondere die gesundheitlich angeschlagene, ,schräge’ Mutter Fragen aufwirft…

Auf der Rückfahrt will Jake unbedingt im Schneesturm bei einer alten Highschool vorbeifahren, um dort Müll in den Mülleimer zu werfen. Hier findet der Roman sein Ende. Jake verschwindet im Schulgebäude auf der Suche nach dem Hausmeister, die Freundin folgt ihm, wird in ihren Gedanken und Worten immer wirrer, wechselt zum Pronomen ‘wir’. Letztlich versteht man die Doppeldeutigkeit von ‘ending things’ und erarbeitet sich in der Rückschau, was da wirklich passiert ist.

Ein Roman wie ein Road Movie, wie eine Tour de Force durch die menschlichen Abgründe, alles schön von der ‘Freundin’ erzählt und mit Unterhaltungsschnipseln anonym bleibender Personen unterlegt. Das ist ein Text, in dem man alles hinterfragen muß – und trotzdem am Ende meint, nicht alles verstanden zu haben. Damit hat mich dieses Buch sehr positiv an die ähnlich verwinkelte Geschichte in Catriona Wards ‘Das letzte Haus in der Needless Street’ erinnert. Auch das eine Leseempfehlung!

Ich will noch darauf hinweisen, daß der Begriff ‘Gedanken’ zentral ist: Gedanken könne man nicht fälschen. Zitat: ‘Gedanken sind die einzige Realität. So ist es. Da bin ich mir inzwischen sicher. Gedanken sind keine Täuschungsmanöver.’

Auch das Thema Alleinsein dominiert. So bei der Feststellung, man könne zwar ‘Klügster’ sein, aber nicht ‘Bester im Küssen’, wenn es da kein Gegenüber gebe.

Mit der Aussage von Jakes Mutter, sie leide an Tinnitus, könne kaum eine Nacht schlafen, schleicht sich der Roman auch sehr dicht an meine Lebenswirklichkeit heran.

Wer solche ‘Versteckspiele’ des Autors mag, solche Romane wie auch ‘Penpal‘, wo man hinterher noch länger überlegt, wie das alles einen Sinn ergibt, dann ist das ein Buch für DICH!
Rush out.

No, wait! Kurz noch zur über zwei Stunden langen Verfilmung (Netflix). Ich finde sie grundsätzlich gut, auch wenn der Regisseur sich Freiheiten nimmt und den Besuch bei Jakes Eltern sehr eigenwillig inszeniert. Beide Autofahrten (hin zu den Eltern, hin zur Highschool) sind gut umgesetzt, meist nur eine Person, die gerade sprechende, in der Totale zeigend. Das Ende ist ähnlich frei dargestellt, Stichwort Tanzszenen, so daß es mir am wenigsten vom Film gefällt. Ich bin zwiegespalten: ja, ich mochte den Film, aber er ersetzt nicht den Roman, steht ‘in its own rights’ neben ihm.

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