Aokigahara (5) – The Forest (Film)

Trigger-Warnung! Der Text behandelt auch das Thema Suizid/Selbsttötung. Wenn das für Dich ein Problem ist: bitte nicht lesen!
Hier gibt es eine Vorbemerkung zu diesen Texten.

Die Seite befaßt sich mit dem Film The Forest von 2016. Der Text spoilert den Film.

The Forest kann man schnell mißverstehen als einen Geisterfilm vor dem Hintergrund des Aokigahara jukai. Doch man sollte beim Schauen auf die Prozesse in der Familie Price sehen, wobei die eineiigen Zwillinge Sara und Jess – beide von Natalie Dormer gespielt – im Vordergrund stehen. So ist auch der Hintergrund schnell erzählt: Jess ist Englischlehrerin in Japan und seit Tagen im Aokigahara verschwunden. Die Polizei informiert Sara (in den USA) über den möglichen Suizid der Schwester, so daß diese sofort nach Japan reist, um Jess zu suchen. Mehrfach wird im Film die besondere Verbindung eineiiger Zwillinge betont. Sara erklärt es so, daß da ein ständiger „Hintergrundton“ ist, der ihr auch jetzt sage, daß Jess noch lebe.

Der Aokigahara wird als „Suicide Forest“ vorgestellt, aber eine besondere Betonung liegt auf den „yurei“ genannten Geistern. Diese werden in Saras Gespräch mit Jess‘ Chefin auch mit der „ubasute“-Praxis verbunden. Aber, s. kurze Begriffsübersicht in der Einführung, gemeint sind wohl eher Onryō – bösartige Geister.

Diese Geister werden so beschrieben – und auch filmisch umgesetzt -, daß sie die menschliche Wahrnehmung verändern, Ängste hervorrufen und Menschen dazu bringen können, problematische Dinge zu tun. Sinngemäß: wer mit Suizid-Absichten in den Wald kommt, sich umentscheidet und ihn verlassen will, wird von den yurei daran gehindert.

Wichtig ist der erwähnte familiäre Hintergrund: Jess war immer die Grenzüberschreitende, die „Sehende“ – auch im wörtlichen Sinne, s.u. -, die aber auch schon zwei Suizid-Versuche in den USA hinter sich hatte und in Japan eine Medikation gegen Angst einnahm. Sara war die Besonnene, die auf dem „rechten Weg“ Gehende, die ihre Schwester aus den Umständen befreien mußte, in die diese sich immer wieder manövriert hatte. Zentral dabei ist der Tod der Eltern, als beide kleine Mädchen waren: Sara spricht darüber als „Autounfall“, aber im Laufe des Films wird klar, daß es ein „erweiterter Suizid“ war, d.h. der Vater hat die Mutter, dann sich erschossen. Sara hat die Leichen nicht gesehen, weil sie sich die Augen zugehalten hat, aber Jess hat hingeschaut. Das ist so ein passendes Motiv von der frühen Verletzung, die sich über die ganzen späteren Jahre als Verletzlichkeit zieht. Großes ABER: Trotz Saras Aussage, Jess kämpfe mit ihren Dämonen: Jess lebt und überlebt damit.

Jetzt aber zunächst zur Umsetzung des Films. Es fängt damit an, daß Sara beim Verlassen des Zuges ein „Aokigahara Station“-Schild sieht. Es gibt keinen Aokigahara-Bahnhof; der nächste Bahnhof ist Kawaguchiko, von dort muß man mit dem Auto/Bus weiter. Und als Sara aussteigt, singt im Hintergrund ein Buchfink… Das ist der Fluch des alten Ornithologen in mir: ich hasse es, wenn ich z.B. im Spiel Starfield auf einem unbewohnten, einsamen Planeten herumlaufe und ich Meisenstimmen höre, die mir sehr bekannt vorkommen.

Dann kann man, wie bei The Sea of Trees nicht darum herumreden, daß man klar sieht, daß der Film NICHT im Aokigahara entstanden ist, sondern hier konkret in Serbien im Tara-Nationalpark. Auf der Wikipedia-Seite heißt es, es gab keine Drehgenehmigung für den Wald, so daß man ausweichen mußte. Ja, schön und gut, aber warum dreht man nicht in Waldgebieten, die zumindest ähnlicher sind als dieser serbische Mischwald mit Flüssen(, in denen natürlich auch Leichen treiben müssen)? Und in der Nacht quaken Frösche im Hintergrund – das zieht mich einfach raus.

Leider übernimmt der Film auch die „urban legends“ von nicht funktionierenden Kompassen und Handys… unnötig.

Der Film hat einige jump scares, die mal gut, mal dämlich sind. Zum Schmunzeln ist die Shop-Betreiberin auf dem Parkplatz am Wald, die aus dem Aokigahara geborgene Leichen im Keller aufbewahrt. Als Sara sagt: meine Schwester ist nicht darunter, sagt die Frau: Kommen wieder, vielleicht dann mehr Leichen…

Seine eigene Linie verwässert der Film mit Horrorelementen, die nicht zur Erzählung passen, z.B. das Lichtflackern im Hotel oder die Atembewegung bei einer Leiche im o.g. Shop. Das hätte man weglassen sollen.

Mit dem Reisejournalisten Aiden und dessen japanischem Guide Michi beginnt Sara die Suche im Aokigahara nach ihrer Schwester. „Natürlich“ muß man bald eine hängende Leiche finden, die grottig in der visuellen Umsetzung ist. „Natürlich“ findet man einen Mann vor seinem Zelt, den Michi zur Umkehr bewegt. Halten wir den Machern zugute, daß man den Wald so darstellen wollte, wie er in der Wahrnehmung vieler Menschen eben ist.

Sara hört Geräusche, Stimmen, folgt einer inneren Stimme – und so findet man „mitten im Nirgendwo“ Jess‘ Zelt. Das ist schon mehr als grenzwertig von der Glaubhaftigkeit des Films her.

Aiden und Sara bleiben entgegen Michis Rat nachts beim Zelt. Hier kommen nun die Geister ins Spiel, die Saras Wahrnehmung massiv verändern. Das passiert vor allem in Form eines Mädchens in Schuluniform, das sich Hochiko nennt und eine vermeintliche Botschaft von Jess überbringt: sie solle Aiden nicht trauen.

Am Morgen brechen Aiden und Sara auf, obwohl Michi sie abholen wollte – auch so eine nicht vernünftig erklärte und nur dem Plot-Plan geschuldete Szene. Sara mißtraut Aiden immer mehr, sieht Illusionen und flieht vor ihm. Die sie verfolgenden Geistergestalten sind recht gut umgesetzt, auch die erneut auftauchende Hochiko, die sich grauenhaft verwandelt.

Intermezzo: Aiden rettet Sara aus einer Lavahöhle und bringt beide in einer alten Ranger-Hütte in Sicherheit. In einem erneuten Aufflackern der von den Geistern quasi induzierten Halluzinationen tötet Sara Aiden mit einem Messer. Das ist die Aussage des Guides Michi: Der Wald bringe einen dazu, Dinge zu sehen…

Und so kommt, was man im Grunde geahnt hatte: In einer solchen Illusion wird Sara von ihrem toten Vater angegriffen, der sich an ihr Handgelenk krallt. Beim Versuch, die Hand des Vaters mit einem Messer loszuschneiden, fügt Sara sich selbst tödliche Verletzungen zu.

Zwischenbemerkung: Diese Inszenierung verreißt natürlich das Bild vom Suizid-Wald. Nicht mehr die eigene Entscheidung der Suizidanten steht im Vordergrund, sondern deren Beeinflussung durch die Geister des Waldes. Das ist etwas, das mir – persönlich – mißfällt, weil es den Kampf der suizid-gefährdeten Menschen mit sich selbst, mit ihren Dämonen, in einer gewissen Weise ad absurdum führt, ignoriert oder sogar abwertet. Sind ja eh die Geister, die einen verrückt machen… Das grenzt für mich schon an Pietätslosigkeit/Unanständigkeit – in Ermangelung eines besseren Worts. 

Verletzt hetzt Sara hinter Jess her, rennt so, wie man im Jukai nie rennen könnte, weil überall Spalten im Boden sind. Die echte Jess entkommt, wird von der Suchmannschaft um Michi und Saras Mann Rob gefunden.

Gut umgesetzt ist, wie schwarze Geisterhände die sterbende Sara in den Boden herabziehen. Als Geist sieht Michi kurz Sara – und der Film ist zu Ende.

Fazit? Eine sehr holprige Angelegenheit, dieser Film. Meine obige Zwischenbemerkung steht ganz im Gegensatz zur Familiengeschichte und der Lektion, die man im Grunde aus dem Film ziehen kann: wer verletzt ist, „on the edge“ lebt, „sehend“ ist in dem Sinn, dem Schicksal oder dem Getriebe des Lebens ins Gesicht zu schauen, der wird den „ganzen Scheiß“ überleben. Also nicht: Gebranntes Kind scheut das Feuer, sondern: gebranntes Kind wird zum Feuer-Gaukler. Das ist Jess, die tagelang im Wald lebt und überlebt. Nicht so Sara, die „Straight“e, die immer meinte, ihre Schwester retten zu müssen, während sie blind ihren eigenen Traumata gegenüber war. Und das macht sie beeinflußbar für die Geister des Waldes. Daß sie sich dann aber selbst tötet in der Folge der gesehenen Illusionen, verzerrt für mich a) das Bild vom Aokigahara („Es sind ja nur die Geister, die einen beeinflussen“) und b) die Lektion, die der Film gibt. Denn aus Jess‘ Geschichte läßt sich ganz viel Kraft ziehen, dem Leben in die feurigen Augen zu schauen. 

Wiki: The Forest

 

[Die Fotos auf diesen Seiten zum Aokigahara-jukai stammen aus einem Waldgebiet, das mir als sehr ähnlich – vom Eindruck, nicht unbedingt der Flora) erscheint: dem Anaga-Gebirge auf Teneriffa.]

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