Trigger-Warnung! Der Text behandelt das Thema Suizid/Selbsttötung. Wenn das für Dich ein Problem ist: bitte nicht lesen!
Hier gibt es eine Vorbemerkung zu diesen Texten.
Ich bespreche nun den Film The Sea of Trees; der Text spoilert den Film.
Müßte ich The Sea of Trees (Wikipedia) mittels iTunes-Sternchen von 1 bis 5 einordnen, wäre ich sofort bei einer soliden 3. Der Film macht vieles gut, ist oft atmosphärisch subpar, erhält aber zum Ende eine erzählerische Wendung, die ihn hebt.
In Japan wurde der Film als „The Forest of Reminiscence“ (Tsuioku no Mori) veröffentlicht.
Der Film schildert auf der Gegenwartsebene Arthur Brennans Flug nach Japan, um im Aokigahara seinem Leben aufgrund von Schuldgefühlen gegenüber seiner toten Frau ein Ende zu setzen.
Die Vergangenheitsebene wird mittels Rückblicken regelmäßig eingeblendet: Arthur und Joan führten eine kaputte Beziehung; sie war Alkoholikerin, aber beruflich erfolgreich; er Professor mit zu wenig Publikationen und magerem Einkommen, dafür mit einem Seitensprung, den Joan ihm nie verzeihen konnte.
Das alles wurde durch die Diagnose eines Hirntumors bei Joan verändert: die beiden kamen sich wieder näher, die Liebe lebte auf. Vor ihrer Hirn-OP nahm sie Arthur den Schwur ab: wenn er wisse, daß er selbst sterben müsse, solle er an einem „perfekten Ort“ sterben. (Das ist die Formulierung aus dem in der Einleitung erwähnten „Suicide Manual“.)
Nach der gelungenen OP wird Joan bei einem Auto-Unfall getötet; die Google-Suche nach „perfect place to die“ führt Arthur nach Japan.
Dort im Jukai trifft er einen verirrten Mann mit ähnlichen Absichten, den Japaner Takumi. Da es diesem körperlich schlechter geht, hilft Arthur ihm, aber die Suche nach einem „Ausweg“ gestaltet sich schwierig, langwierig, worüber die Männer in Gespräche zum Hintergrund ihres Hierseins im Aokigahara verwickelt werden. Der Japaner erklärt z.B., daß der Suizid in Japan nicht so negativ wie im Westen bewertet werde, da er helfe, die Ehre wiederherzustellen. Er aber habe sich umentschieden, müsse zur Familie zurück.
Im Film werden Leichen, Skelette sehr naturalistisch gezeigt, was mir gefällt. Andererseits sind die Action-Szenen (Stürze, Verletzungen, die Überflutung der Höhle durch „Regen“, der Rettungseinsatz der Ranger…) wenig glaubwürdig, linkisch bis unnötig dramatisch umgesetzt.
Größtes Manko für mich – in meinem Notizbuch dick als „falsche Felsen“ aufgeschrieben – ist, daß es deutlich erkennbar ist, daß nicht (bzw. nicht zu 100%) im Aokigahara gefilmt wurde, sondern in Massachusetts. Das beraubt den Film um etliches an Atmosphäre, denn man erwartet das poröse Lava-Gestein, die typische Optik der Vegetation, und sieht dann die glatten Felsbrocken und -wände.
(Ebenso frage ich mich, ob man nachts im Aokigahara Zikaden hört…)
Letztlich wird Arthur, der allein für den nicht mehr gehfähigen Takumi Hilfe holen will, gerettet, muß dann aber im Krankenhaus erfahren, daß man den Japaner nicht gefunden habe, es auch niemanden diesen Namens mit Frau und zwei Kindern, deren Name Arthur sich gemerkt hatte, gibt. Auch die Überwachungskamerafilme zeigen ihn nicht …
Also macht der genesene Arthur sich noch einmal auf, markiert den Rückweg mit Band und zerknülltem Papier (Hänsel & Gretel, „Brotkrumen“), um beim Zelt, das beide Männer genutzt haben, unter einer Jacke eine auffällige weiße Blume vorzufinden, von der Takumi vorher gesagt hatte, solche finde man nur dort, wo „eine Seele die andere Seite erreicht“ habe.
Würde das Ende einen regulären Tod des Japaners darstellen sollen, müßte man die Leiche finden. Mit dem Hinweis auf die Blume schiebt sich also die Frage in den Vordergrund, ob es – auch vor dem Hintergrund der von Arthur eingenommenen Pillen, kurz bevor die Männer sich trafen, – den Japaner überhaupt als reale Person gegeben hatte… Hat er als „Geist“, der sich hilfebedürftig zeigte, Arthur gerettet?
Im Wikipedia-Eintrag wird das so erklärt, daß Joans Geist in Form dieses „Japaners“ Arthur geholfen habe. (Der Japaner hatte erklärt, daß die Geister der Familienangehörigen den Menschen hier im Wald am nächsten seien). Denn die beiden japanischen Worte, die Arthur notiert hatte, und von denen er dachte, das seien die Namen der Töchter Takumis, bedeuten Gelb und Winter. Als ihm das übersetzt wird, erinnert er sich: das waren Joans Lieblingsfarbe und -jahreszeit.
Mir gefällt am Film diese Wendung zum Schluß, die den Japaner als reelle Person transzendiert und die Frage aufwirft, ob nahe Verstorbene – gerade an solch einem Ort – auf die Psyche eines Menschen einwirken können.
Ein solider, keineswegs überragender Film, der viele Legenden um den Jukai aufnimmt – von den Bändern zu nicht funktionierenden Handys, dabei aber auf die naturalistische Ebene die Deutung des Japaners als Geist oder Einbildung abstellt.
Leider ist der Film in den Kinos ziemlich gefloppt.
[Meine Fotos auf diesen Seiten zum Aokigahara-jukai stammen aus einem Waldgebiet, das mir als sehr ähnlich von der Optik, nicht zwingend der Flora, erscheint: dem Anaga-Gebirge auf Teneriffa.]
Ein Gedanke zu „Aokigahara (3) – The Sea of Trees (Film)“