Trigger-Warnung! Der Text behandelt auch das Thema Suizid/Selbsttötung. Wenn das für Dich ein Problem ist: bitte nicht lesen!
Hier gibt es eine Vorbemerkung zu diesen Texten.
Die besprochene Comic-Reihe befaßt sich mit dem japanischen Wald Aokigahara jukai, s. Einleitungsseite.
„In Japan, at the base of Mount Fuji, sits Aokigahara forest, a gloomy place, notorious because of the many people traveling there to end their own lives…“
Nun kann ich endlich über die 5-teilige Comic-Reihe „Call of the Suicide Forest“ berichten, da ich die fehlenden Teile aus den USA erhalten habe. Es sind fünf dünne Hefte, ca. DIN-A5-Format, die auch mal als Komplett-Edition herausgegeben wurden.
Autorin ist Desirée Bressend, die Zeichnungen stammen von Ruben Gil und weiteren Künstlern, die z.T. nur für einzelne Bereiche („manga dream“) zuständig waren. Veröffentlicht wurde das Werk bei Amigo Comics 2018, Malaga.
[Aber es gab schon 2011 eine Serie von El Torres mit dem Titel „Suicide Forest“ (Info @ Goodreads) und darüber hinaus wohl eine neue Serie vom gleichen Autor: Tales from the Suicide Forest.]
Mein Text spoilert den Inhalt der fünf Hefte moderat, wodurch ich aber nicht so intensiv darauf eingehen kann, was ich über die Geschichte denke.
Diese dreht sich um zwei Hauptcharaktere:
Ryoko ist Japanerin und arbeitet als Rangerin im Aokigahara. Sie wurde von ihrem Vater sehr traditionsbewußt erzogen, ist dadurch im Shintoismus verwurzelt.
Vor einiger Zeit ist wohl während ihrer Arbeit ein Vorfall geschehen, der nicht genau erklärt wird, aber bei Ryoko Schuldgefühle ausgelöst hat. Ihr Vater ist auf jeden Fall auch im Aokigahara verstorben.
Dann ist da Portia, eine junge Amerikanerin, die nach Japan fliegt, um im ‚Suicide Forest‘ ihr Leben zu beenden. Sie fühlt sich von den Eltern vernachlässigt, wird von Kommilitonen als ‚Nerd‘ gehänselt, weil sie sich mit Mangas beschäftigt und dem Herstellen von ‚manga dolls‘.
Jenseits der oberflächlichen Handlung findet sich in den Heften das Thema Tradition vs. Moderne und Ost vs. West (und vielleicht auch Shinto vs. Buddhismus). So geraten die beiden Frauen (nach Portias Rettung aus dem Wald) kurz aneinander, wobei Ryoko der anderen vorwirft, die japanische Kultur nicht zu würdigen. Später muß die Japanerin jedoch erkennen, daß Portia ihr in Bezug auf die Mangas und den darin erzählten Geschichten weit voraus ist. Der gesamte Inhalt dreht sich um Themen wie: wer erzählt wie seine Geschichte? Wie entstehen neue Traditionen, wann läßt man alte sterben?
Portia wird nach ihrer Rettung von Geistwesen heimgesucht, die auch Ryoko kennt. Es handelt sich um monsterartige „Yokai“, die Portia wahrnehmen kann, weil sie sich unbeabsichtigt während des Aufenthalts im Wald in eine Zwischenwelt begeben hat. Die Geister machen ihr klar: sie gehört nun zum Aokigahara – sie müsse aus dem Leben scheiden, um in den Kreis der Yokai aufgenommen werden zu können: „You belong to the forest!“
(Über den Unterschied zwischen den Yokai und den ebenfalls erwähnten Yurei kann man sich hier in einem längeren, englischen Artikel kundig machen.)
Ryoko ist von der Situation völlig überfordert, da der Shinto-Priester von ihr erwartet, Portia zu „erlösen“. Immer wieder hinterfragt sie ihre Tradition, auch das, was sie vom Vater gelernt hat. Kurzzeitig wendet sie sich von diesem Shinto-Priester ab und sucht Hilfe bei einem buddhistischen Meister. Der bringt zumindest ihr Weltbild etwas ins Schwanken: „Faith is like painting the walls of your room with mud… then trying to convince yourself that it is beautiful, and it smells good.“
Gefangen in ihrer Sicht auf die Traditionen trifft Ryoko eine weitreichende Entscheidung.
Letztlich findet sie die Kraft, eine neue Sichtweise auf ihr Leben und die Lebenswelt ihres verstorbenen Vaters zu finden.
„Maybe tradition and ghosts are just remnants of a past you refuse to leave behind. We do not learn from the past, we just keep these remnants. And we put our faith in them. And with faith we create those spirits and spells, and become zealous guardians of our own fears.“
Und: Traditionen bestehen nicht ewig. Auch sie entstehen und vergehen: „New myths emerge every day. Giving other lives joy, thrills, feelings … and meaning.“
Das ist schon eine große Kehrtwende am Ende, obwohl die Geister als Motiv des Comics über viele Seiten so präsent waren. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die ‚Moral von der Geschicht‘ so 100% verstanden habe. 😉
Von der Gestaltung her sind die Hefte vor allem in den Farben schwarz/weiß, blau und rot gehalten (Portia hat rote Haare). Da ich kein Comic-Aficionado bin, kann ich zum Zeichenstil nicht viel sagen: mir gefällt er. Alles ist eher düster gehalten; manche Zeichnungen, v.a. die mit den Geistern, wirken schon ein wenig psychedelisch.
Ich kenne mich auch nicht mit dem japanischen Volksglauben und der Vorstellung von den Yokai aus, so daß ich nicht beurteilen kann, ob z.B. ein Geistwesen wie der „Echsenmann“ in den japanischen Sagen vorkommt. Auch ob man tatsächlich davon ausgeht, daß es in den Eishöhlen (s. Einleitung) keine Geister gibt, weil sie diese nicht betreten können, weiß ich nicht.
Letztlich stelle ich für mich fest, daß es mir schwerer fällt, mich auf Comis zu konzentrieren und die Bedeutung der Geschichte zu erfassen, als wenn ich ein Buch lese.
Nebenbei erhält der Youtuber Logan Paul, den ich in der Einleitung schon erwähnt habe, noch einen Seitenhieb: Ryoko trifft im Wald auf den Flünzer (AKA Influencer) „TuberTom“, der sich gerade vor einer Leiche filmt…
[Die Fotos auf diesen Seiten zum Aokigahara-jukai stammen aus einem Waldgebiet, das mir als sehr ähnlich (vom Eindruck, nicht zwingend der Flora) erscheint: dem Anaga-Gebirge auf Teneriffa.]