Eine kurze Betrachtung zum Text von ‚Silence Speaks‘, einem Song des neuen VNV-Nation-Albums Construct.
Silence speaks but no one listens
Ja, der Wert der Stille ist in vielen Religionen unter den Stichworten Meditation oder Kontemplation bekannt. Sich in die Stille begeben, ist eine Umschreibung dafür, sich dem zu öffnen, was man in der Stille oder durch sie finden kann. Wer das nie erfahren hat, ist einer, der der Stille nicht zuhören kann, der sie nicht aushalten kann.
Communicate without a voice Without science or religion Silence offers you a choice
Ronan würde ich als Humanisten bezeichnen, der sich kritisch gegenüber religiösen Dogmen positioniert, so auch hier. Für ihn ist die Stille nicht mit Religion und Wissenschaft verknüpft. „Choice“ erklärt sich durch den Reim, aber ansonsten bleibt unklar, welche Wahl die Stille bietet. Möglicherweise einfach nur „Kommunikation ohne Stimme“, wie die erste Zeile vorgibt. Schauen wir weiter:
Silence speaks of a solution Forces movement, calls to act Shapes the world of its invention Silence offers us a path
Aha, ‚choice‘ und ’solution‘ gehören zusammen. Am ehesten fördert Silence eine Art von „Klarsicht“, aus der heraus man handeln kann. Taten, so darf man formulieren, die aus der Stille geboren wurden, modellieren diese Welt (add: besser als in Hektik umgesetzte). Gut paßt auch das deutsche Wort „Einkehr“ oder innere Einkehr, ein temporärer Rückzug, aus dem heraus man Kraft gewinnt.
Silence speaks with deepest wisdom To purge the doubts and clear the mind Pure of thought, free of confusion Bright it shines in darker times
Stärkster Vers, denn er beschreibt genau das, was in religiösen Traditionen von diesem ‚Gang in die Stille‘ erzählt wird: Die Gedanken beruhigen sich, der Geist wird klar, damit enden die Einflußnahme von Streß und Verwirrungen der Welt auf das Individuum. Das kann man auch als Lichterfahrung erleben.
Wer „Nova“ kennt, weiß, daß man auch bei Ronan pseudo-religiöse Erfahrungen voraussetzen kann, die in Musik umgesetzt werden. Manchmal finde ich es schade, wenn es bei „Licht“ bleibt, wo man „Gott“ sagen könnte. Vielleicht liegt Ronan nahe am Gottesbegriff von Leo Tolstoi, der Gott mit dem Leben, der Lebensenergie gleichsetzte – und sich damit die Exkommunikation einhandelte. 😉
Chorus: Beneath the chaos and the rhythm Hitting deep within thе void Among the patterns, if you listen Silеnce hides within the noise
Ich würde es so nicht formulieren, also daß sich die Stille im Lärm verbirgt, das klingt mir zu larifari. Stille ist Kontrapunkt zum Lärm, sie ist etwas anderes, nichts, das sich darin versteckt, das man ‚among the patterns‘ finden kann, weil man sich außerhalb jeglicher akustischer ‚patterns‘ bewegt.
Der Gang in die Stille ist ein bewußter – auch räumlich, um sich vom (lauten) Alltagsleben abzuschirmen/-trennen.
Letztlich bleibt Ronan mit dem Text an der Oberfläche. Beim ersten Hören (live) habe ich nicht alles 100% verstanden, fand aber das, was ich verstand, sehr gut. Jetzt merke ich, daß er wieder einmal über pseudo-religiöse Empfindungen schreibt, aber streng vermeidet, irgendetwas als spirituell zu benennen.
Am ehesten würde ich nach dem Lesen des Texts an „Mindfulness“, Achtsamkeit, denken, die bewußt die religiösen Bezüge abgeworfen hat und dem modernen Westler eine Option zur Meditation gibt, ohne daß man sich religiös/spirituell festlegen muß.
Das funktioniert für viele Menschen gut, hat aber in meiner Sichtweise auch etwas von Beliebigkeit.
Ich habe in zwei je zehntägigen Schweige-Exerzitien in einem kleinen Kapuziner-Kloster die Kontemplation nach Franz Jalics kennengelernt, die im Grunde wie das stille Sitzen im ZEN ist, aber mit Bezug zum christlichen Gott. Jalics ist weiterhin bekannt als Befürworter des sogenannten Jesus-Gebets, das aber gerade keine Stille bedeutet, sondern mantra-artige Wiederholung eines Satzes.
Solche 10 Tage verändern einen Menschen – die Stille ist dabei der Weg, der Erfahrungen innerhalb der Stille ermöglicht.