Die gloriose ‚Addams Family‘ ist für mich immer unter dem Radar geflogen. Ja, da gab es die Schwarz-Weiß-Serie aus den 60ern, von der ich ein paar Sendungen in den 70ern gesehen habe, ohne daß mich das begeistert oder gefesselt hätte – vielleicht war ich zu jung. Natürlich konnte ich so auch nichts über die späteren Kinofilme wissen. Aber Wikipedia hilft weiter… Da schau her: es begann schon in den 1930ern, als der Zeichner Charles Addams eine exzentrische Familie malte und sie dem Ideal der amerikanischen Kleinfamilie gegenüberstellte. Addams habe morbiden Humor gehabt, weiß der Wikipedia-Schreiberling. Es folgte die TV-Serie, die ab 1970 auch in Deutschland ausgestrahlt wurde, s.o.
1991 wurde mit dem Spielfilm ‚Addams Family‚ von Barry Sonnenfeld nachgelegt, 1993 und 1998 folgten zwei weitere, danach Animationsfilme.
Warum die lange Vorrede? Weil ich gerade auf ‚Geheiß‘ eines Freundes die Netflix-Serie ‚Wednesday‚ schaue, und die Serie mit einem ‚Gothic Revival‚ unter Jugendlichen in Verbindung gebracht wird. Wednesday ist hier die pubertierende Tochter (für diesen Begriff würde sie mich steinigen) der Familie. Die Addams sollen auf Vorfahren, die Hexen waren, zurückblicken – oder ‚Ghule‘ sein.
Die Serie besteht aktuell aus einer Staffel mit 8 Episoden. Ich habe die erste Episode beim ersten „Anschauversuch“ abgebrochen – mir mißfiel die sehr eindimensionale Darstellung Wednesdays; das wirkte überzeichnet. Dann zweiter Versuch und – ja, da zündete die doch interessante Melange aus Gothic-Verschnitten, Übersinnlichem, Monstern und den ’normalen‘ Bewohnern des Städtchen Jericho mit seiner nicht ganz so sauberen Geschichte. Wednesday kommt wegen Unangepaßtheit nach verschiedenen Schulwechseln zur ‚Nevermore Academy‘, die auch die Eltern schon besucht haben. (Aber warum kam sie nicht gleich dorthin? Vielleicht wegen der Piranha-Episode, die in die Einleitung sollte.)
Hier gibt es nun – leichter Spoiler – 2 Themenstränge: zum einen treibt ein Monster sein Unwesen in den Wäldern, so daß Wednesday sich zur Aufklärung motiviert sieht. Zum anderen gibt es einen alten Mordvorwurf gegen ihren Vater Gomez, der ebenfalls zum Thema wird. Beides verknüpft sich, wird mit überraschenden plot twists garniert und mündet in ein famoses Finale – Hut ab!
Die in ihrem Stoizismus überzeichnete Wednesday taut in den ersten Episoden auf, wird menschlicher, zeigt Regungen und Affektionen. Die Akademie ist in einem schönen ‚Gothic-Stil‘ ausstaffiert – sehr ansehnlich. Natürlich ist es eher eine Jugendserie, daher auch die Themen Verliebtsein, Partnerschaft usw. im Fokus.
Mir gefielen vor allem die coolen Sprüche Wednesdays, die mich manchmal schmunzeln ließen. Dann die ruhige Kameraführung (daß es sowas 202x noch gibt!), die stimmige Lichtkomposition, ja, die Serie ist schon aus
einem Guß, wie man so schön sagt.
Ist so eine Serie nun gut oder schlecht für die Schwarze Szene? Letztlich kann ich das nicht beurteilen. Ich hatte Spaß beim Schauen, klar, aber ich bin nicht das Zielpublikum. Natürlich werden auch wieder die Vorurteile und Klischees bedient, aber wenn ich die Social-Media-kritische Wednesday sehe, die abends auf ihrer alten Schreibmaschine tippt, dann gehe ich davon aus, daß das für manche Jugendliche heute sehr heilsamer Balsam sein könnte. Schaut man auf den Streß, den soziale Medien auslösen, kann man verstehen, wenn die ‚analoge‘ Welt des Dunklen, des Übersinnlichen, an Attraktivität gewinnt. Und man darf sicher auch nicht übersehen, daß die mißmutig-stoische Wednesday Kraft ausstrahlt. Sie weiß, was sie will, ist stark, autark. Ist das nicht in einer Welt der Konformität extrem attraktiv? Seinen eigenen Weg gehen, anstatt auf die Views bei TikTok zu schauen?
Ich glaube, da trifft Wednesday einen Nerv- aber nicht für alle. Auch das gefällt mir. Schwarz war immer nur für die Unbunten. 🤣 Wenn die Serie dann so eine Wasserscheide ist, „nette Unterhaltung“, binge-watching bei Chips und Redbull für 9 von 10, aber für eine Person der Anstoß, sich eine Sammlung der besten Kurzgeschichten von Poe zu kaufen – so be it.