Unpolitisch oder ignorant?

Man sagt der Schwarzen Szene nach, sie sei unpolitisch, mithin spiele Politik in und für die Szene eine geringe Rolle. Mir fallen zwei sehr unterschiedliche Beispiele aus der eigenen Beobachtung ein: Vor zwei Jahrzehnten agierten „Gothics gegen Rechts“ aufklärerisch zu von ihnen so verstandenen rechten / rechtsextremen Bands, was m.E. in der Schwarzen Szene beachtet, aber unaufgeregt zur Kenntnis genommen wurde. Es mag sein, daß mit dieser Aktion erreicht wurde, daß sich die krasseren der kritisierten Bands nicht weiter durchgesetzt/verbreitet haben. Man denke auch an die Von-Thronstahl-Debatte, das Auftrittsverbot beim WGT 2000, das wegen Bombendrohung abgesagte DIJ-Konzert im gleichen Jahr usw. Auch Veranstalter reagierten: zweimal wurde von mir beobachtet, wie der VAWS-Stand beim M’era Luna Festival-Verbot erhielt.

Andererseits ist mir im vergangenen Jahr beim Amphi-Festival angenehm aufgefallen, wenig blau-gelbe Farben zu sehen. Der Krieg wurde draußen vor dem Tanzbrunnen zurückgelassen. Dabei glaube ich nicht, daß die Mehrheit der Festivalbesucher tatsächlich die Ereignisse in der Ukraine nicht verfolgt.

Was mir an diesem unpolitischen Duktus gefällt, der ja nicht wirklich unpolitisch ist, sondern Szene und Politik – so als eine Art Markenzeichen – trennt, das ärgert mich z.B. an Treffen mit den Menschen aus meiner Nachbarschaft. Am Freitag war es wieder soweit; gut einmal pro Halbjahr treffen wir uns mit acht Erwachsenen zu einem Abend mit Wein und Bier sowie kleinen „Tapas“ à  la Käse, Oliven usw. Was mir an der Schwarzen Szene gefällt, ärgert mich in diesem Kreis: politische Themen, von Corona bis Klima, sind komplett tabu. Vielleicht auch, weil ich dazu eine eigene Meinung vertrete, die möglicherweise nicht ‚mainstream‘ ist. Aber vor allem, so meine ich, weil man in einer ‚bubble‘ lebt, sich darauf fokussiert, das eigene Leben (das der Familie) so angenehm weiterzuleben, wie man bis 2020 getan hat. So tauscht man sich über Arbeit und Urlaube aus, über Kinder und den Klatsch und Tratsch aus dem Ort. Der klassische Rückzug ins Private.
Aber das gilt nicht nur für politische Themen: Ich war im Juni eine Woche auf dem Berg Athos in Griechenland, der sogenannten Mönchsrepublik, dem Zentrum der orthodoxen Christenheit, wo nur Männer Zutritt haben. Und obwohl jeder der Nachbarn von dieser Reise wußte, wurde sie nicht angeschnitten. Keiner fragte, wie denn mein „Urlaub“ so gewesen sei. Als eine später hinzukommende Frau fragte, ob der Rush schon erzählt habe, wurde das geflissentlich übergangen. Warum? Weil man die (be)fremde(nde) Lebensweise der Mönche, und was sie für mich bedeutet, genau so wenig an sich heranlassen möchte, wie die Denkweise der „Klimakleber“.

Ich verweise hier auf die im Beitrag „Persönliche Musikgeschichte, Teil 4“ erwähnte Unterscheidung in das sogenannte „Lebens-Ich“ und das „Fest-Ich“. Da zitiere ich den Autor des erwähnten Buches mit dem Satz, „dass die Leute mich nur um den Preis mochten, dass ich nichts von jenen Dingen erzählte, die mich wirklich bewegten.“

Wie genuin traurig ist das?! Genau das werfe ich diesen Nachbarn vor, was im Klartext heißt, daß Ihnen mein Lebens-Ich scheißegal ist. Umgekehrt erwarte ich von Mitgliedern der Schwarzen Szene nicht, daß sie mir auf Konzerten und Festivals ihre politischen Vorlieben frei und mehr oder weniger aufdringlich kundtun. Gerne diskutiere ich privat oder im kleinen Kreis mit diesen Menschen, die oft ähnlich auf das Leben schauen wie ich.

Zweimal unpolitisch, aber einmal ignorant und verletzend. Kann ich das so für mich zusammenfassen?
Rush out.

Turning around. Wait, isn’t this a nice quote and so fitting?

„Und ich habe sowohl Freiheit als auch Sicherheit in meinem Wahnsinn gefunden: die Freiheit des Alleinseins und das Bewahrtsein vor dem Verstandenwerden. Denn die, die uns verstehen, versklaven etwas in uns.“
     [Khalil Gibran]

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