Nosferatu 1922 – 2025 (Filme)

Im Juni 24 wies ich hier im Blog erstmalig darauf hin, daß der Filmregisseur Robert Eggers (The Witch, The Lighthouse, The Northman) sich nach mehr als 100 Jahren an einem Remake von Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ versucht. Eggers‘ Verfilmung heißt einfach nur „Nosferatu“ (Wikipedia), nur für den deutschsprachigen Raum muß der Untertitel „Der Untote“ hinzu… 🙄

Ich habe mir zunächst Murnaus Nosferatu von 1922 angeschaut (im Folgenden: N22), dann Eggers‘ Film (N25) im Kino. Ich setze für meinen Text voraus, daß der Leser mit der grundsätzlichen Dracula-Geschichte vertraut ist.
Der Text spoilert beide Filme!

Visuelle Umsetzung: Murnau und Eggers – sowie ihre jeweiligen Kameramänner – sind Meister im Schaffen von Atmosphäre durch ihren visuellen Stil. Fast alle Rezensenten loben Eggers‘ fulminante Bildgebung, aber mir gefiel ganz besonders der Kamerastil von Jarin Blaschke, z.B. diese langsamen Drehungen auf einer horizontalen Ebene, die die Spannung steigern: was erwartet uns am Ende dieser Drehung?
Daß die künstlichen, digitalen Effekte zu stark hervorstechen, gar immersionsbrechend sind, fand ich nicht.
Natürlich finden sich Rezensenten, die genau diesen Eggers’schen Stil kritisieren, so bei Newsflix.at: „Doch auch ‚Nosferatu‘ krankt an den selben Symptomen wie andere Eggers-Filme: Der ausschließliche Fokus auf Bildgebung, Stil und Ästhetik raubt der Horrorgeschichte ihren emotionalen Kern. So ist das Werk zwar schön anzusehen – aber es berührt zu keinem Zeitpunkt.“

Darauf müssen wir zurückkommen.

Der Film ist lang und „langsam“ geschnitten, was mir sehr gut gefällt.

Original-Stoff: Eggers hängt nah am Original, was ihm z.B. von Schmitt (Die Filmanalyse) vorgeworfen wird. In seiner Rezension (YT) weist er darauf hin, daß das 1922er Original eine politische Bedeutung hatte, das Herzogsche Remake von 1979 eher psychologisch deutete, während Eggers eben „nur“ ein Remake produziert, ohne zu überlegen und umzusetzen, was der Stoff Menschen im 21. Jahrhundert sagen könnte.
Das greift auch das Portal Queer.de auf: „Während der Stummfilm aus den 1920er Jahren die Traumata des Ersten Weltkriegs und die Unsicherheit der Weimarer Republik spiegelte, fragt man sich hier: Welche Apokalypse beschreibt Eggers? Die bedrückende Atmosphäre dominiert so sehr, dass narrative Innovationen zu kurz kommen.“

Aber Eggers weicht eben doch in einigen Dingen vom Original ab. Eher oberflächlich ist das z.B. das Karpatendorf, in dem Hutter vor dem Erreichen des Schlosses haltmacht. In N22 ist das ein normales Dorf mit gläubigen Menschen, die vor Orlok warnen; in N25 ist das visuell und akustisch auffrisiert als Sinti-/Roma-Dorf, wo Hutter bedrängt wird. Fremdheit steht hier im Vordergrund, in N22 Aberglaube. Eingefügt wird von Eggers das Pfählen eines Untoten.

Die Handlung auf dem Schiff Empusa ist gegenüber N22 stark gekürzt.

Größte Abweichung in N25 ist die Sexualisierung des Stoffes.

Doch zuerst etwas zu den beiden Darstellerinnen der Ellen. Im Original war das Gretha Schröder; der Name ‚Gretha‘ taucht in N25 als Hommage auf: Ellens Katze heißt so.
Im Remake wird Ellen von Lily-Rose Depp gespielt. Beide Schauspielerinnen haben als Gemeinsamkeit, daß sie schlank sind und kleine Brüste haben, damit mädchenhaft bis androgyn wirken. Schröder hat aber große, faszinierende Augen, die mit dunklem Make-Up unterlegt sind. Man schaut auf die Augen, sie spielt mit den Augen und stellt so eine „kühle Schönheit“ dar – anders als Depp. Das fand ich sehr gut.
Depp spielt viel sinnlicher, was im Fokus-Shift begründet sein mag. Ihr Gesicht strahlt weniger Kühle als angestaute Erregung aus.

Zurück zum Thema Sexualität: Im Original sind Ellen und Thomas, soweit ich mich erinnere, noch verlobt. Denn für das Ende des Films ist wichtig, daß eine Jungfrau („ein gar sündlos Weyb“) den Vampir besiegen kann. Hier gibt es keine Vorab-Verbindung zum Grafen Orlok. Nur als Thomas in Gefahr gerät, schlafwandelt Ellen. Aber selbst als sie später sagt: „Er kommt, ich muß zu ihm“, ist unklar, ob sie Thomas oder Orlok meint. Sie stirbt aber m.E. als Jungfrau, weil das der Schlüssel zum Sieg über Orlok ist.

Ganz anders die Eggers’sche Ellen: sie spürt seit der Kindheit, daß sie anders ist, ihren Körper anders fühlt, was in Andeutungen auch Sexualität meint, z.B. wenn ihr Vater sie nackt im Wald findet. Sie hat offenbar auch epileptische Anfälle. Orlok nennt sie später „meine Nekromantin“, mit der er eben schon lange kommuniziert – das ist der ‚erste Bund‘ zwischen beiden, der nun durch die tatsächliche Vereinigung erneuert werden soll. Für Ellen ist das offenbar eine ambivalente Sache: Orlok kann man als die triebhafte Sexualität deuten, die der bürgerlichen entgegensteht. Ich muß vermutlich nichts dazu schreiben, wie bürgerliche Sexualität 1834 ablief. Ellen ist hier die Rebellin, die sich Orlok in Träumen/Visionen hingibt, gleichzeitig aber nach der Normalität in der Ehe mit Thomas sucht.
[Als es aber kurz vor dem Ende zum Sex zwischen Thomas und Ellen kommt, ist das so unstimmig und überdreht in Szene gesetzt, daß es lachhaft wirkt. (In anderer Ausdeutung: das ist der 1834er Sex und die passive Rolle der Frau.)]

Man könnte das Remake N25 auf diese Thematik reduzieren, so wichtig ist dieser Plot Twist gegenüber dem Original.
(Das verschiebt auch die Rolle von Thomas‘ Chef, Herr Knock, der mehr als in N22 als Diener Orloks gezeigt wird. In N25 ist er v.a. Träger der (wenigen) Horroreffekte, während die Flucht und Verfolgung (N22) komplett gestrichen wurden – nachvollziehbar.)

Das gilt dann auch für die Beziehung Ellen-Orlok: im Original kniet der Graf bei Sonnenaufgang mit dem Mund an Ellens Hals neben ihrem Bett, während es in N25 die lange, abschließende Sex-Szene zwischen beiden gibt.

Noch eine Abweichung zum Originalstoff: Mit Willem Dafoe als der verschrobene Professor Albin Eberhart von Franz kommt – in Verbindung mit Knock – ein magisch-alchemistisches Element in den Film, das möglicherweise auf Eggers‘ Beschäftigung mit dem Thema Hexen (The Witch) zurückgeführt werden könnte. Knock sieht man nackt in einem Pentagramm-Symbol auf dem Boden sitzend, was doch sehr an das Thema Neuhexentum/Wicca erinnert. Von Franz ist hier Gegenspieler der Schulmedizin, und gleichzeitig derjenige, dessen okkultes Wissen zum Verständnis des Phänomens Nosferatu führt. So ist er es in N25, der mit Ellen bespricht, daß sie allein, aufgrund ihrer paranormalen Fähigkeiten den Vampir besiegen kann. In N22 kommt Ellen durch die Lektüre eine Fibel zum Vampirismus selbst darauf.

Graf Orlok: Ich weiß nicht mehr genau, wo es war, evtl. bei Sarahs Besprechung des Films, aber Bill Skarsgård soll für seine Rolle sechs Wochen Sprechen geübt haben. Das ruft bei mir eher ein Schmunzeln hervor, denn er hat wenig Gelegenheit, tatsächlich im Film zu spielen. Schmitt (s.o.) nennt ihn gar den „grauen Zombie“ mit dominantem Schnurrbart. Es ist keine Mimik erkennbar, dafür röchelt er wie bei COPD Grad IV, was doch im Verlauf des Film nervig wird.

Schreck (in N22) ist klar mein Favorit: er wirkt schlank und richtiggehend „ausgehungert“, hungernd nach Blut, aber doch auch adelig, während Eggers‘ Orlok eher aus dem Northman entsprungen sein könnte. Ich würde soweit gehen zu sagen, der größte Schwachpunkt des Eggers-Remakes ist, daß Skarsgård nicht im Ansatz an die ikonische Darstellung des Nosferatu durch Schreck herankommt. Oder, um es mit TheSunbreak zu sagen: „The Orlok in this remake may have fangs, but he (…) feels pretty toothless.“

Thomas Hutter: in N22 fand sich diese Figur für mich in völlig überzogener ADHS-Darstellung; in N25 ist es ein sehr ähnlicher Typ Mann, der solide spielt – mehr nicht.

Schlußszene: Daß Vampire im Sonnenlicht sterben, dieses „Wissen“ verdanken wir Murnau, der das in seinem Film zur Siegesszene umgesetzt hat. Ich bin oben schon darauf eingegangen: Orlok wird besiegt, weil er sich Ellen nicht entziehen kann vor dem ersten Hahnenschrei. Die o.e. Sarah spricht von einem „anticlimactic end“ – ein enttäuschendes Ende, was sich für mich nicht so darstellt, weil die Vorlage ja eingehalten werden mußte (sollte).

Musik: Es war mein Eindruck, daß Eggers eine ähnliche Musik wie das Original haben wollte – ok.

Drehorte: Wisborg, die Stadt in den Filmen, ist eine deutsche Hanse-Stadt nach Vorlage von Wismar und Lübeck, wo auch das Original gedreht wurde. Eggers hat v.a. in Prag, aber auch in Rumänien gedreht.

Fazit:

Ich komme nicht umhin, Eggers‘ Fokus auf die Sexualität als Aufhänger zu nehmen. Was will er denn sagen?
Soll hier die „seductive nature of evil“ (AbsoluteGeeks) vorgeführt werden? Kann Ellen nicht anders, als dem Bösen (sexuell) zu verfallen? Oder trifft in dieser Verbindung die triebhafte Sexualität des Grafen auf die sexhungrige, in ihrer Ehe unglückliche Frau? Dann aber auch: Was ist die Moral von der Geschicht‘? Wer sich in Gefahr begibt (seinen Trieben nachgibt), kommt darin um? Ist der Film eine prüde Blaupause für monogamen Vanilla-Sex?

Kann man sagen, daß sich Ellen nach einem „toxischen Liebhaber“ sehnt? (ORF)? Auch dann wäre ja das Fazit: das bringt dich um.

Oder geht es nur um die gesellschaftskritische Aufarbeitung der Rolle der Frau (und Sexualität) im 19. Jahrhundert? Es fällt mir schwer zu glauben, daß ich hier auf das Thema „Unterdrückung weiblicher Sexualität“ gestoßen werde – als alleiniger Aufhänger.

Wenn Murnau (auch) politisch eine Aussage machen wollte, und Herzog mit Klaus Kinski die psychologische Ebene auslotete, was ist dann die Botschaft Eggers‘? Ich glaube, daß Eggers gerade in Bezug auf Beziehungen im weiteren Sinne (Ellen -> Hutter + Orlok) und Sexualität vor Augen führen möchte, was im Menschen schlummert, und was negativ aus den Fugen geraten kann, wenn man keine Balance im (Trieb-)Leben findet. Laß dich nicht mit Vampiren ein, sei lieber „Heimscheißer“ und Heimf*cker. 🤣
Reicht das als Aussage?

Auffallend ist, daß manche Rezensionen so etwas sagen wie: der Film holt die Zuschauer nicht ab. Er geht keine emotionale Verbindung mit den Zuschauern ein. Oder auch: ästhetisch beeindruckende Neuadaption, die erzählerisch enttäuscht (Newsflix.at).
Der o.g. Schmitt spricht dann von einem „Gothic Fantasy Spektakel“, und daß Eggers sich am Stoff „verhoben“ habe.

Diese Auffassung kann ich zum Teil nachvollziehen. Visuell hat Eggers gezeigt, was man (ER!) aus der 1922er Vorlage machen kann. Das ist für mich ziemlich perfekt.
Erzählerisch hat er diese psycho-sexuelle Komponente reingebracht, die im Zusammenspiel von Ellen und von Franz deutlich wird.
Unklar bleibt die Botschaft; so habe ich das Kino verlassen, im positiven Sinne erschlagen von der Bildmacht der Verfilmung, aber mit diesem nagenden Gefühl: was war denn genau mit diesen thematischen Verschiebungen gemeint?

„Berührt“ die Neuverfilmung (s. Zitat Newsflix.at oben – der Film berühre nicht)? Jein. Im audiovisuellen Sinn würde ich von mehr als ‚berühren‘ sprechen: die Umsetzung fesselt. Aber: ein Regisseur wie Eggers, der viel Betonung auf die bildgewaltige Umsetzung seiner Filme legt, muß schauen, daß zur erzählerischen Komponente hin keine Schieflage entsteht. So bleibt der Eindruck, die Betonung von Ellen/Sexualitität ist unausgegoren und ohne wirklich greifbare Botschaft. Das führt mich in eine Dissonanz: der Film fesselt, aber berührt nicht.

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