Wochenlang habe ich zwischen Mai und Juli überlegt, etwas dazu zu schreiben, warum es hier im Blog so ruhig ist. Ich wußte nicht, wie ich anfangen sollte. Dann habe ich Anfang Juli einen ellenlangen Artikel geschrieben, der aber wie ein ‚rant‘ rüberkam und eher doch grottig war.
Dann ging für mich die „Festival-Saison“ mit dem Samstagsbesuch auf dem Amphi los. Und wie so oft, auch in den vergangenen Jahren, lösen sich Zweifel an dem, was ich bin und tue, in (schwarzem Rauch) Luft auf, wenn ich EUCH, die Andern in dieser Szene sehe und erlebe. Da merke ich dann, wie sich meine zurückgezogene Lebensweise manchmal auf meine Psyche auswirkt. Ich will also nun noch einmal mit moderateren Worten schildern (Ok, eigentlichen Artikel nur umgeschrieben…), was mich derzeit an der „Schwarzen Szene“ zweifeln läßt.
Ich merke vor allem, daß mir das ganze Marketing – von den überzogenen Selbst-Präsentationen der Bands hin zu den glitzi-bunti Präsentationen in den Magazinen wie Sonic Seducer oder Orkus – massiv auf den Sack geht. Es fühlt sich alles so gleich an – so nach tausendmal gesehen. Der immer gleiche Hype um bestimmte Bands, die gestellten Aufmacher, die gleichen Kostüme – har, har phöse! Was ich zur letzten gelesenen Orkus-Ausgabe denke, habe ich hier schon beschrieben – heute lese ich die „schwarze Bravo“ nicht mehr. Ebenso hatte ich schonmal kurz aus einem Artikel von Dirk Matejovski zitiert (oberhalb der Überschrift ‚Lebens-Ich und Fest-Ich‘), wonach die Musikmagazine sehr unkritisch über Bands und Veröffentlichungen schreiben.
Hinzu kommen auf Insta z.B. Reels wie „How do dance Gothic-style“ und – auf sehr persönlicher Ebene – die Sprachfehler in Lyrics, die Texte in super-einfachem, oft falschem Englisch („more pretty“).
Mich nervt das, es macht mich müde. Zum ersten Mal fühle ich mich – mit meinen 58 Jahren – alt. So ein alter nörglerischer Boomer (Ok, technisch eher schon Gen-X), der sich mit Millennials oder [acquiring target… wait…] abkämpfen muß. 🙂
Aber damit ist auch die immer wiederholte Sinnfrage verbunden: ja, wo läuft sie denn, die Schwarze Szene? Wo boomt sie denn noch? Kann man sagen, daß das „historische Element“ (Inhalte, Phänotypen) aus der Anfangszeit heute noch in der Szene pulsiert? (Oder ist die Darstellung in den Printmagazinen jetzt die Schwarze Szene?)
Ich habe keine Antwort darauf, während andere Menschen, die wöchentlich in schwarze Clubs gehen, wenn sie glücklicherweise noch einen in ihrer Nähe haben, auf die Club-Szene verweisen werden.
Man muß m.E. zwei große Entwicklungen einbeziehen: zum einen das Internet, worüber ich hier schon etwas geschrieben habe, zum anderen die Festival-Szene, die ihre Events von reinen Sommer-Veranstaltungen auf das ganze Jahr ausgedehnt hat. Ich habe mit Leuten gesprochen, die nur noch auf Festivals sind, ansonsten ihre schwarze Seele im Alltag bei Musik zuhause baumeln lassen.
Letztlich ist es immer wieder die Frage nach der Definition von „Szene“, an der sich die Anschauungen scheiden. Schauen wir mal schnell auf die Wikipedia: Dort nimmt man eine Definition auf Basis von Janke & Niehues (Echt abgedreht, 1996): „Eine Szene ist ein soziales Netzwerk in Form eines freizeitlichen Sozialisationsraumes, das durch gemeinsame Interessen, Überzeugungen, Vorlieben oder Geschmäcker von Menschen verdichtet ist.“
Schaut man ein bißchen weiter, dann wird der Jugend-Bezug hergestellt, man geht vom Begriff „Subkultur“ weg hin zu „Jugendkultur“: Szenen dienen der Identitätsbildung, damit der Abgrenzung gegen die Erwachsenenwelt. Es sind lockere soziale Gruppierungen (in der Freizeit), die man freiwillig betreten und verlassen kann. Eine musikbasierte Szene wie die schwarze definiert sich v.a. über Musik und Mode. Was mir bei den verschiedenen Definitionen auffällt, ist v.a. die Vordergründigkeit, um nicht Oberflächlichkeit zu sagen. Aber vielleicht ist genau das Charakteristikum solcher „Jugendkulturen“ in ihrer Fluidität bzw. Labilität. Trends kommen und gehen – immer muß man aktiv suchen und das zusammentragen, was jetzt Szene ist.
In diesem Sinne sind m.E. sowohl Festivals als auch Internetforen „Szene“, weil sie auch eine Form der Vergesellschaftung sind. Aber gerade Festivals sind „Top-down“-Events, die hauptsächlich im Konsum der von einer Organisation vorbereiteten Musik-Events wurzeln. Aktiver Austausch innerhalb der Besucher-Szene findet m.E. nur sporadisch statt: man spricht miteinander, tauscht sich aus, gibt sich Empfehlungen usw., wenn es gerade nicht zu laut ist.
Gehören die Leute, die sich post-Covid und vielleicht auch durch die kriegstreiberische Weltpolitik in ihre „privaten Gemächer“ zurückziehen, keinen Bock mehr auf Rausgehen haben, ihren Weltschmerz mit sich selbst ausmachen, zur Szene?
Dazu sage ich „ja“, weil ich merke, wie mich gerade die Festival-Besuche wieder mit meinen nihilistischen Zügen versöhnen.
Und ich denke auch, daß das Alter mitspielt: Ich merke, daß ich keine Lust mehr habe, mich nach 22 Uhr in Clubs zu begeben – ist nicht mehr „meine Zeit“. Ich muß niemandem mehr etwas beweisen, ich muß keine Partner auftun oder Amouren anbahnen. Ich würde durchaus auch zum „schwarzen Tanztee“ gegen 16 Uhr erscheinen.😉 (Da wären auch mal wieder entspannte Gespräche mit Tiefgang möglich.)
Mir ist da am Wochenende so das Bild der „Raiding-Szene“ in World of Warcraft eingefallen. Habe selbst vor über 15 Jahren mal intensiver gezockt, aber meist nur die regulären Gruppen-Dungeons. In Raids habe ich reingeschaut, war aber nicht mein Ding, insbesondere auch nicht, was das nötige „Commitment“ anging: Trainingsläufe, feste Zeiten, An- u. Abmelden usw. Die Spieler kannten sich untereinander mit ihren Charakternamen – und bildeten m.E. die „Raid-Szene“ in WoW. Und das taten sie, ohne sich regelmäßig persönlich an einem konkreten (analogen) Ort zu treffen.
Vielleicht ist das auch die Entwicklung im Bereich „Schwarz“. Wenn ich auf mich schaue: Seit einiger Zeit genieße ich Streams von DJs auf Twitch, z.B. DJ_Cyberpagan oder GeisterweltNights. Daraus nehme sich soviele Titel und Bands mit, die ich mir dann genauer auf Spotify anhöre.
Nebenbei höre ich Podcasts, aber da ist die Auswahl eher gering. Dann sind da noch die Radios (z.B. über Radio.de), wo man häufig auch spezielle Programme am Abend findet.
Corri-May und ich fahren dann zu 2-3 Festivals im Jahr, besuchen ab und an ein Einzelkonzert – und freuen uns auf Castrum Nigra im nächsten Jahr.
Hinzu kommt für mich das eher passive Sich-Informieren über diverse Szene-Seiten und Instagram.
Ja, „mehr“ ginge, aber ich weiß nicht, ob ich mehr will. Auf keinen Fall will ich „mehr“ von dem oben Kritisierten. Anders gesagt: ich muß aktiv filtern, was ich mir „antun“ will.
Ich habe am Wochenende einen soziologischen Artikel gefunden, der in sieben, glaube ich, Punkten die Charakteristika von „Jugendkulturen“ (mir ist Subkulturen immer noch lieber) diskutiert. Vielleicht greife ich das in nächster Zeit mal auf und kommentiere diese Punkte aus meiner Sicht.
Aber es gilt auch, zumindest finde ich das Zitat gut: „It is better to write for yourself and have no public than to write for the public and have no self.“
(Cyril Connolly)