Nach dem Beitrag zur Lust an der Unterwerfung überkam mich die Lust am Lesen, an der ‘Regression’ auf eine Lektüre von vor über 30 Jahren, die ‘man’ kennt, die ich aber nicht mehr so richtig im Kopf hatte. Oft habe ich nach dem Lesen die Zeit überdauernde Bilder im Kopf, Szenen, Vorstellungen von Landschaften und Gebäuden – das fehlte hier. Also nochmal gelesen.
Vorab: wenn Du die Venus im Pelz nicht kennst: das wird nicht der spannendste, aufregendste Roman sein, den du in deinem Leben lesen wirst. Ich möchte mal behaupten, der Roman bezieht seinen Bekanntheitsgrad eben daher, daß man den Masochismus nach dem Leopold benannt hat. Ist m.E. kein literarisches Meisterwerk. Here we go…
[Spoiler!] Die eigentliche Handlung zwischen einem Gutsbesitzer namens Severin (von) Kusiemski und der Russin (?) Wanda von Dunajew ist in eine kleine Rahmenhandlung eingebaut. Ein namenloser Ich-Erzähler (der Autor?) berichtet besagtem Severin von seinem Traum, in dem eine Frau im Pelzumhang ihn zu ihrem Sklaven machen will. Der Severin gesteht ihm, er habe diesen Traum auch gehabt, “nur habe ich meinen Traum mit offenen Augen geträumt”. (alle Zitate nach der Ausgabe Delphin-Verlag, München, 1987)
Mit der Andeutung, er sei tatsächlich gepeitscht worden, nun aber kuriert, nimmt Severin das Ende seines Tagebuchs vorweg, das er unserem Unbekannten zum Lesen gibt, die “Bekenntnisse eines Übersinnlichen”. ‘Übersinnlich’ meint hier nichts Esoterisches, sondern ist so zu verstehen, daß Severin sich als Feingeist, als Idealist versteht, der eine marmorne Venus-Statue verehrt, vor ihr kniend christliche Gebete spricht, aber den Kuß des einfachen Stubenmädchens seiner Mutter verachtet. Sagen wir, er ist ein Connoisseur, der weiß, was er (nicht) will.
Nebenbei: die vielen Fachausdrücke für gehobenere Kleidung aus der Zeit um die Jahrhundertwende muß man ggf. nachschlagen…
Severin lernt also in seiner Geschichte Wanda kennen, und es entspinnt sich ein Geplänkel zwischen beiden, in dem sie ihre Rollen abstecken.
Es gibt dabei einen heidnischen Unterton, der bereits in der Rahmenhandlung angerissen wurde: die griechischen Götter wurden zu Dämonen gemacht. Severin sagt seiner Wanda dann, das Kreuz des Christentums habe “etwas Fremdes, Feindliches in die Natur und ihre unschuldigen Triebe hineingetragen”.
Gleich erklärt er, daß die Griechen nur deshalb schöne, freie poetische Menschen waren, weil sie – guess what – Sklaven hatten, die die prosaischen Alltagsgeschäfte regelten. Severin rückt in dem Zusammenhang mit seinem Standpunkt heraus: hätte er die Wahl zwischen herrschen und unterjocht werden, würde er liebend gern “Sklave eines schönen Weibes” sein.
Wie genau er sich dieses “Sklavendasein” vorstellt, und daß das ganz viel mit Topping from the Bottom zu tun hat, werden wir später erfahren.
Zunächst geht Wanda spielerisch auf diese Aussagen ein: ja, sie habe “Talent zur Despotin”. Man bändelt weiter miteinander an, bald geht es schon um Heirat. Wanda macht einen kleinen Rückzieher und schlägt als Agreement vor: man werde ein Jahr wie ein Paar leben, damit Severin die Zeit habe, sie davon zu überzeugen, daß man wirklich zueinander passe. Wanda meint das aber im Grunde ohne Pelze und Haue, so daß Severin spürt, wie seine Felle, äh Pelze, wegschwimmen. Er schiebt das Statement nach: Wenn sie doch nicht ganz “sein” sein könne, dann wolle er ihr Sklave sein! Wanda kontert irritiert mit: “Fassen Sie sich doch…” 😉
Severin präzisiert, Wanda solle aus ihm egal was machen: Ehemann oder Sklave (und schmunzelnd sehe ich Bilder aufsteigen aus Ehen im Bekanntenkreis auf, wo das Eine nicht so weit vom Anderen entfernt sein mag). Ja, er könne sogar einem “Weib ohne Tugend, ohne Treue, ohne Erbarmen” Sklave sein, was letztlich das Saatkorn ist, das aufgeht. Sehr schön folgender Dialog: Sie: “Also das, was andere abstößt, zieht Sie an?” Er: “So ist es. Es ist eben meine Seltsamkeit.” Herrlich, das Zitat muß ich mir merken…
Severin berichtet dann über seine Kindheit und Jugend und über die prägende Erfahrung mit seiner Tante im Pelzmantel, die ihn mit einer Rute versohlte. Der Pelz mache die schöne Frau zur gefährlichen Katze. Oder konkreter: die Frau verkörpere ein Ideal “aus der Ästhetik des Häßlichen, (der) Seele eines Nero im Leibe einer Phryne”. Das gehe nur mit Pelz, klar.
Wanda ist aber weiterhin bei “Sie sind nicht ganz gescheit”. Severin bittet Wanda noch einmal um ihre Hand: könne sie nicht die Ehe mit ihm eingehen, so solle sie “sein Ideal” sein, die grausame, edle Dame im Pelz, die ihn schlägt, fesselt, mit Fußtritten traktiert. Und – ganz wichtig – es triggere ihn auch, wenn sie “einem anderen gehört”.
Ich will das jetzt ein wenig kürzen: man beginnt mit ersten ‘Sessions’, Wanda ist sich unsicher, Severin motiviert. Sie ist eher abgestoßen von seinen Erwartungen, spielt halt mit, er ist verzückt voller Wonne – wie ich das kenne.
Irgendwann kommt in Wanda der Umschwung, der Moment, in dem sie – nicht die Rolle liebt, sondern die Macht über Severin. Sie unkt: “fühle dich nie sicher beim Weibe, das du liebst.” Gleichzeitig nimmt sie von dem Ehe-Projekt eher Abstand, was Severin zu neuen verbalen Höhen bringt: er wolle legal Sklave sein, vom “Gesetz geheiligt”. Letztlich knickt Wanda ein: solange sie ihn liebe, wolle sie ihn als Sklaven akzeptieren, aber quasi so als richtigen Sklaven, daher müsse man gemeinsam in ein Land fahren, wo es noch Sklaverei gibt…
Heute würde man sagen: hätten die beiden erstmal ein wenig miteinander “gespielt”, wäre es vielleicht schnell klargeworden, ob man miteinander kann oder nicht. Stattdessen wird nun ein offizieller “Sklavenvertrag” aufgesetzt, während man als Leser spürt, daß da etwas Bedrohliches in Wanda reift. Ich will das so ausdrücken: sie springt voll auf den Macht-Zug auf, während Severin als der Feingeist, der er ist, sich in Wolkenkuckucksheimen verirrt.
Wanda eröffnet dem zukünftigen Sklaven dann, sie werde sich einen Kreis von Anbetern halten, während er offiziell der Diener ist. Da rumort es bei Severin: “Du nimmst meine Phantasie zu ernst”. LOL
Es ist ein verbales Hin und Her. Man reist gemeinsam nach Italien, Florenz, – Severin als ‘Diener Gregor’ mit 3.-Klasse-Billett. Der Sklavenvertrag wird unterzeichnet, der es Wanda theoretisch sogar gestattet, Severin zu töten. Sie kassiert seinen Paß und sein Geld ein. Dann treten “junge, schlanke Negerinnen” auf, die Helferinnen Wandas darstellen. Sie sind der Zwischenschritt zwischen der Herrin im Pelz, der Venus, und dem späteren Liebhaber eben dieser.
Wanda distanziert sich, läßt Severin mal auf einem Fell auf dem Boden vor ihrem Bett schlafen. Am nächsten Tag wird er von den schwarzen Frauen vor einen Pflug gespannt und muß auf dem Feld den ‘Ochsen’ geben.
Dann kommt ein junger, stattlicher, griechischer Ex-Soldat hinzu, der sich für Wanda interessiert. Sie spielt mit beiden Männern; Severin gesteht sich ein: “Ich glaube, ich fange an, dieses Weib zu hassen.”
Wanda driftet ab in ihre Machtsphäre, in Lieblosigkeit, Härte. Severin setzt nach: sie solle ihn töten, aber nicht verstoßen. So, wie ich das erzähle, darf man nicht meinen, daß es keine prickelnden Szenen gibt. Es gibt mehrere davon, in denen Wanda halbverhüllt ist, dann den Pelz öffnet oder fallenläßt und sich Severin nackt präsentiert. Das wirkt auf mich aber – auch jetzt beim Drüberschauen für diesen Text – nicht erotisch, weil ich das unschöne Ende kenne. (Na ja, vielleicht bin ich da auch nicht ganz ehrlich…)
Mit “Wanda, Erbarmen!” reagiert der völlig überforderte Severin auf Wandas Ansage, sie werden den Griechen heiraten. Severin empfindet das so, daß Wanda “gemein” werde – der passende Gegenentwurf zu seinen hohen Idealen. Man bekommt Mitleid mit Severin, der seiner Angebeteten sagt, er wolle “ihr Hund sein”, woraufhin sie antwortet, er langweile sie.
Die Geschichte überschreitet den Zenit mit Wandas Ansage, sie könne Severin ja auch zum Sklaven des Griechen machen. Im ‘Showdown’ überläßt Wanda ihren Severin dann diesem Konkurrenten, der ihn auspeitscht. Die Venus im Pelz ist für den Geschlagenen nun zur “Bestie” geworden. Severin flieht aus Italien, übernimmt später den Gutshof seines Vaters.
Wanda schreibt ihm noch einmal und legt genau das dar, was wohl die “Moral von der Geschicht” sein soll: sie wirft Severin Manipulation ihrer Gefühle vor. Mit seinen überzogenen Forderungen habe er erreicht, daß sie ihn nicht mehr als Mann lieben konnte. Sie hoffe, er sei durch ihre Schläge nun kuriert…
Für Severin allerdings gibt es eine eher verbitterte Schlußfolgerung: das “Weib” könne nur die Sklavin oder Despotin des Mannes sein, nie aber seine Gefährtin.
Meine Gedanken dazu: Severins Aussage über die “Gefährtin” mag ich nicht weiter kommentieren, nicht hier, nicht jetzt.
Er ist die ganze Sache aus meiner Sicht insofern falsch angegangen, daß er völlig überzogene Forderungen hatte. Hätte er diese runtergefahren, wäre auf der partnerschaftlichen Ebene ein gemeinsames Dasein von “Partner” und “Sklave” möglich gewesen. Aber was sage ich da eigentlich? Es war ja gerade Severins Wunsch, der einzige Wunsch dieses “übersinnlichen” Idealisten und spirituellem Heiden, diese eine Herrin im Pelz zu finden. Muß man nicht vielmehr sagen, daß Wanda versagt hat? Doch wenn ich das schreibe, denke ich sogleich: nein, die Wünsche Severins waren unerfüllbar.
Letztlich meine ich, man muß sich entscheiden: will man Partnerschaft, Leben auf dem gleichen Niveau, auf Augenhöhe des Anderen, oder will man die Unterwerfung unter einen dominanten Menschen, will man Sub sein? Ich weiß, daß viele Partnerschaften auf beiden Ebenen funktionieren, but call me Severin, ich denke da anders. Ich merke, daß ich da auch ein wenig “übersinnlich” bin und mir eher Spielbeziehung als Partnerschaft “mit BDSM-Elementen” vorstellen kann.
Venus im Pelz ist eine schöne Charakterstudie, die zeigt, wie die Dominanz (des Untergebenen) die Welt der anderen Person manipuliert oder verzerrt. Ist es aber falsch, als Sub eigene Wünsche und Vorstellungen zu haben? Nö, natürlich nicht, aber diese in der plumpen Art Severins – des “Feingeists” – zu äußern, ist halt doof.
Andererseits merke ich, wie die Person der Wanda für mich durch den Roman (eher Novelle) hinweg blaß bleibt. Ja, sie liebt Severin, nein, sie weiß nicht, was sie mit seinen Wünschen anstellen soll. Sie bleibt beim Griechen, dem “Löwen”, um ein Bild aus dem Text zu bemühen, der ihr die Stärke gibt, die sie von einem Mann haben will. Severin war ihr lieb, solange er ‘normal’ war. Jep, in der Rolle war ich auch schon.
Und so stehe ich am Ende doch neben Severin, proste ihm mit einem nicht zu kalten Tempranillo zu und sage: “Alter, die war nix für dich.” Wir grinsen, dann sagt er: “War aber geil, Bruda.”