„Der Exorzismus der Emma Evans“, im Original „La posesión de Emma Evans“ (bw. in englischsprachigen Ländern „Exorcismus“), von 2010 ist wieder einer der Filme ohne signifikante Wikipedia-Artikel. Das bedeutet in der Regel nichts Gutes. Regie führte Manuel Carballo (der den geplanten Regisseur Luis de la Madrid ersetzte), geschrieben wurde das Drehbuch von David Muñoz. Der spanische Film spielt in England. (Wikipedia EN)
Ich habe den Film via Apple TV gesehen und vergebe ***. Der Text spoilert wie immer den Inhalt des Films.
Der Regisseur hat sich hier vermutlich gedacht, schnell reingeschnittene Rückblicke peppen den ansonsten etwas drögen, zu langen Film auf. So starten wir mit einer Selbstverletzungsszene Emmas, ohne daß im Ansatz klar ist, was da passiert. Diese Art der oft schwarzweißen Rückblicke zieht sich durch den ganzen Film. Ja, kann man machen; nein, mir gefällt das nicht.
Die Geschichte, die wir dann kennenlernen, ist zunächst relativ Genre-typisch: Emma und ihr jüngerer Bruder werden von strengen Akademiker-Eltern zu Hause beschult. Emma ist 15, hat jüngst ihren Geburtstag mit Freundin Rose (Gothic-angehaucht) und Freund Alex gefeiert. Dabei – das lernen wir später – wurde mit dem Ouija-Brett spaßig herumprobiert – doch Emma vermutet, „der Teufel“ sei da in sie gefahren. Das ist zumindest die Ausgangslage für die Zuschauer.
Als Emma ihren Eltern gesteht, man wollte den Teufel kontaktieren, fragt die Mutter dümmlich: „Wieso wolltet ihr das denn tun?“ Ende des Dialogs. (Dialogbenotung: 5)
Die Folgen äußern sich nun in einem epileptischen Anfall, doch bei der intensiven Diagnostik findet man keine Ursache dafür. Emma fühlt sich beeinflußt, muß erbrechen, hat Fehlwahrnehmungen mit Kakerlaken. Der dann aufgesuchte Psychologe wird offenbar vom Dämon getötet. Nettes Stilmittel hier: man hört via Live-Schaltung auf Roses Handy mit.
Emma mißhandelt ihren Bruder, führt die Freundin als ‚Lesbe‘ vor, will die Mutter mit heißem Wasser übergießen (letztere zuzugeben eine starke Szene). Es ist schon irgendwie alles reingepackt worden, was nicht ganz so schlecht ist. Zumindest fliegen keine Krähen gegen die Fenster und sterben. (Dafür wird im Abspann auf die Tierrechte hingewiesen. Meinen die allen Ernstes die Kakerlaken, die ich für CGIs hielt?)
Als Emmas Körper 50cm über dem Boden levitiert, wird den Eltern klar, jetzt müsse Chris(topher), der Bruder der Mutter ran. Der ist suspendierter katholischer Priester, weil in der Folge eines von ihm durchgeführten Exorzismus ein Mädchen gestorben ist. Emmas Vater glaubt, ein Exorzismus könne wie ein Placebo wirken: irgendwas gemacht – Dämon wech.
Chris hat überhaupt keine Bedenken, ohne offizielle Genehmigung, die er sowieso in seiner Situation nicht erhalten würde, einen Exorzismus an Emma durchzuführen. So zieht er bei den Taylors ein; der kleine Sohn wird zur Tante nebenan gegeben.
Am ersten Tag des Vorhabens fesselt er Emma an einen Stuhl, zieht einen Weihwasserkreis um sie, und wiederholt ständig auf Latein: Im Namen Jesu, sag deinen Namen! Im Namen Jesu exorziere ich dich! Ja, das ist so ungefähr der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Film und Rituale Romanum, und, nein, das kommt so im Originaltext nicht vor.
(Was mir neulich noch einmal aufgefallen ist: gerade die lateinische Version des Originaltextes klingt laut gesprochen so dynamisch und stark, daß ich nicht verstehe, warum man daraus keine Auszüge in solchen Filmen verwendet.)
An dieser Stelle schrieb ich zunächst: gut sei der Erklärungsansatz von Chris: nur wer glaube, könne am Exorzismus teilnehmen, andere wären in großer Gefahr. Das war der Ansatz, um die Eltern von der eigentlichen Handlung auszuschließen. Gegen Ende des Films wird aber deutlich, daß da etwas anderes dahintersteckte.
Ich kürze hier ab: der Bruder stirbt, Freund Alex wird schwer verletzt – durch Mitwirkung von Dämon/Emma. Aber natürlich ist Emma ganz normal (ok, ein bißchen böse geschminkt, was keinen irritiert) bei der Beerdigung dabei. Der Film zieht sich gerade in diesem Bereich, auch weil das so „Stilmittel mit Ansage“ sind: Chris impft den Eltern ein, Emma dürfe jetzt mit niemandem allein sein – und prompt passieren die schlimmen Sachen, wenn sie mit jemandem allein ist. Sachen gibt’s…
Priester Chris ist wie in fast allen Filmen des Genres ein relativ junger Priester, der Hilfe bei einem älteren fand; hier ist das der Priester Aeneas, der alte Mentor. Aber Chris ist eher auf einem Ego-Trip, das wird deutlich, als Emma sich die Videos von den Exorzismen ansieht: ich glaube zu erkennen, daß Chris nicht mit vollem Einsatz exorziert, sondern den Dämon/Teufel provoziert, damit Emma in gewisser Weise foltert, damit er gute Filmaufnahmen für seine Rehabilitation als Priester erhalten kann. So sagt er nach einer auf Film gebannten Levitationsszene: „Endlich, ich habe dich.“
Damit bekommt auch die Ouija-Brett-Geschichte eine andere Erklärung: Vor dieser Nutzung hatte Chris nämlich Emma genau erklärt, daß man mit diesem Brett Geister rufen könne, aber nur mit einem „Blutopfer“ könne man den Teufel selbst rufen. Genau erklärte er den Fall des verstorbenen Mädchens – und hatte klar die Absicht, daß Emma dies nachahme, damit er als Exorzismus-Held auftreten könne.
Jetzt erst wird die Anfangsszene mit der Selbstverletzung erklärbar: Emma war so wütend auf ihre Mutter, wollte frei vom Elternhaus sein, daß sie die Anleitung von Chris umsetzte, um wohl die Mutter bestrafen zu können, oder so. Damit muß ich meine Aussage vom Anfang doch etwas relativieren, der Rückblick zeigt einen Kernmoment der Erzählung, der erst langsam aufgedeckt wird.
So ist der Film im Genre durchaus eigenständig: ein Priester verhilft einem Opfer zu einer Besessenheit, um sich durch den Exorzismus selbst rehabilitieren zu können. Dafür gibt es den zweiten *.
Und noch etwas: die Kameraarbeit / -führung hat mir gut gefallen. Die reißt das Ganze etwas raus.
Grande Finale: Vatti tot, Chrissy tot, Emma mit Schere im Bauch, Mutter in Psychiatrie. Ist das ein wenig Kirchenkritik, die da einfließt? Würde ich dem Film gar nicht zutrauen. Chris’ Ego-Trip ist genau das. Er wird nicht kirchenkritisch aufgebaut im Film. Wenn dann Aeneas an Emmas Bett im Krankenhaus tritt und über Chris sagt: „Gott wird ihn dafür bezahlen lassen“, dann ist das so ungefähr das Letzte, was ein echter Priester / Vertreter der katholischen Kirche sagen würde. Da ist nichts Kirchenkritik, sondern alles zusammengeschustert.
Von wem war Emma besessen? Üblicherweise sind es in diesen Filmen ‚Dämonen‘, also Hilfswesen des Teufels. Hier soll es der Teufel persönlich sein, und ich frage mich, ob das nachvollziehbar umgesetzt wurde. Jein – die Wesenheit in Emma ist böse und intelligent. Ihre Aktionen vollziehen sich nach Chris’ Angabe im Film: der Teufel ernähre sich von Schmerzen; aus dem Schmerz der Menschen ziehe er seine Kraft. Da ist viel gezielte Schmerzzufügung über lange Strecken – jede Person bekommt davon etwas ab. Wenn man nun argumentieren wollte, die Besessenheit durch ‚normale‘ Dämonen, die platter agieren, werde in den Szenen wie im Exorzist gut eingefangen, dann könnte man sagen: ja, hier agiert in Emma eine intelligentere Wesenheit, die ihre Schritte gut plant. Man kann auch in Besprechungen des Films lesen, daß gerade die zurückhaltende Inszenierung dieser Szenen den Reiz des Films ausmacht. Das würde erklären, wieso Emma trotz ‚böser Schminke‘ so lange „gut“ funktionieren kann: sie wird durch den Teufel selbst besser kontrolliert, als es ein Dämon könnte. Das ist meine Theorie…
Wie verläßt die Wesenheit Emma? Unklar – am ehesten springt sie in Chris, der sich dann selbst tötet – auch das ein aufgenommenes Motiv aus dem Original-Exorzisten.
Letztlich habe ich mich doch mehr mit dem Film und seinen Aussagen befaßt, als ich es üblicherweise bei so einem Werk, das 08/15 herüberkommt, machen würde. Daher schiebe ich den Film auf (knappe) *** in meiner Bewertung hoch.
Zum Abschluß noch: was mich bei solchen B-Movies immer wieder nervt, die Ungereimtheiten:
- Bruder Mark sitzt mit Slip/Badehose in der Badewanne. Da man ihn sowieso in der Szene nicht annähernd nackt sieht, hätte man das durchaus mit Eltern + Kameramann im kleinen Kreis nackt drehen können (oder eben besser schneiden müssen).
- Emma löscht die Psychologen-Tonaufnahme auf Roses Handy. Die ist völlig entsetzt und scheint die Papierkorb-Funktion ihres Gerätes nicht zu kennen.
- Chris trägt als suspendierter Priester das weiße Kollar. Das ist nicht per se verboten, aber unüblich, weil er damit eine Rolle suggeriert, die er aktuell nicht ausfüllen darf.
- Der nicht angeschnallte Alex wird beim Autounfall schwer verletzt. Bei dem Crash wäre er m.E. sicher tot gewesen. Umgekehrt stirbt der Vater nach einem (!) Messerstich in die Leberregion. Das hätte er überleben können. Die Mutter wird durch ein traumatisches Erlebnis so verändert, daß sie wohl dauerhaft in der Psychiatrie leben muß und auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Ja, grundsätzlich denkbar, aber unwahrscheinlich.
- In den Exorzismus-Szenen werden v.a. das Apostolische Glaubensbekenntnis und das Vater Unser gebetet. Die sind nicht Kern der Rituale-Romanum-Anweisungen für einen Exorzismus, können aber unterstützend gebetet werden. Es ist – auch wieder, wie oben geschrieben – der kleinste gemeinsame Nenner, der Wiedererkennungsfaktor bei den nicht mehr so oft zur Kirche gehenden Zuschauern.
- Chris zeigt Emma ein Symbol für das Blutopfer. Sie erklärt der Mutter, sie habe ein „Pentagramm“ gezeichnet, aber das war irgendein Eieruhr-Gebilde.