Speak No Evil / Funny Games (Filme)

frreepik.com - 18+Bitte beachten: Im Sinne des Jugendschutzes weise ich darauf hin, daß hier sensible Inhalte eines Mediums (Film, Serie, Buch) besprochen werden. Der Text sollte ab Volljährigkeit gelesen werden.

 

“Die Gewalt lebt davon, dass sie von den Anständigen nicht für möglich gehalten wird.”
Jean-Paul Sartre

Als ich vor gut einem halben Jahr “Funny Games” (FG) sah, habe ich den Film hier nicht vorgestellt. Ich weiß nicht genau, wieso, aber vielleicht wollte ich ihn aus dem Gedächtnis verdrängen, dieses Beispiel für ein “feel bad movie”, wie man es nennt. Denn letztlich geht es nur um plötzlich über “normale Menschen” hereinbrechende, tödliche Gewalt. Das alles findet in der Form seine filmische Darstellung, daß die Gewalt keinen Sinn zu haben scheint – außer man bemüht sich mit der Suche nach den sadistischen Motiven der Täter. Das Warum scheint keine Antwort zu kennen, doch in “Speak No Evil” (SNE) wird das ganz lakonisch beantwortet, wenn der Täter dem Opfer sagt: “Because you let me.”

In beiden Filmen trifft es Familien mit Kindern. In FG reist eine österreichische Familie zu einem abgelegenen Haus am See, in SNE treffen die Opfer die Täter bei einem Familienurlaub in Italien und werden zu deren Haus in den Niederlanden eingeladen. Die Geschichte von FG ist im Grunde schnell erzählt (s. Wikipedia-Beitrag), wobei es eine Besonderheit der filmischen Darstellung gibt, die SNE fehlt: die Zuschauer werden z.B. durch Fragen oder ein Zwinkern eines Täters in die Kamera immer mal wieder direkt einbezogen. Kurios wird es, wenn “der Film” kurz von einem der Täter zurückgespult wird, um die Erschießung seines Kumpans ungeschehen zu machen. Gerade dieser Effekt – in Verbindung mit dem betont höflichen Auftreten der Täter – soll vermutlich die Wirkung der unausweichlichen Taten spürbarer machen. Das “Zurückspulen des Lebensfilms” ist so etwas wie das Save Game im Computerspiel – und ohne Parallele im wahren Leben.

Bei SNE lernen wir zum Ende hin die Motivation des Täterpaares kennen, d.h. wir verstehen, was da abläuft, aber es ist doch kein wirkliches Verstehen. Die Gewalt bleibt so random wie in FG, auch wenn sie in quasi-ritualisierte Handlungen der Täter eingebettet ist.

Als starker Kontrast zu den Tätern sind die Opferfamilien in beiden Filmen ‘normale’ Menschen einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft, für die Gewalt irgendwie nur im Kino stattfindet. Das ist Gestaltungsmittel beider Filme: die rohen Täter, die Gewalt um ihrer selbst willen, und auf der anderen Seite die zivilisierten, verweichlicht wirkenden Opfer – Stichwort: you let me. Die Situation der Opfer ist in FG aussichtsloser als in SNE. Mit einem Gewaltakt des dänischen Paares, mit einer Eskalation ihrerseits, hätten sie möglicherweise das Ruder umwerfen können. Doch sie fügen sich in das Unvermeidliche, werden wie Lämmer zur Schlachtbank geführt. Das ist in SNE unverständlicher für den Zuschauer. Grandios setzt die Filmmusik dies um: oft über-bedrohlich während des Films, wird sie zum bitteren Ende melancholisch, leise.

Wenn ich von “verweichlicht” spreche, dann muß der Moment in SNE erwähnt werden, der den ganzen Fortgang des Films triggert: die dänische Familie flüchtet nachts im Auto, weil sie sich im Haus der Gastgeber nicht wohlfühlt. Dann fällt der Tochter auf, daß ihr Teddybär fehlt. Erste Reaktion der Eltern: wir kaufen dir einen Neuen. Nun die Nahaufnahme des Gesichts des Vaters, der Denkprozeß – er hält das Auto an und dreht um. Damit besiegelt er das Schicksal seiner ganzen Familie, wo es ein wenig Härte gegenüber der Tochter bedurft hätte.

Beide Filme zeigen am Ende, wie die Täter ihre nächsten Opfer suchen – Gewalt ohne Ende, ein nüchterner Blick auf diese Welt. Doch die Botschaft der Filme kommt bei mir anders an: Auf der ersten, einfachsten Ebene zeigen beide Filme zuviel Vertrauen (der Opfer) in ihnen unbekannte Menschen, die sich höflich oder anbiedernd verhalten, sich einschmeicheln (man denke an die aufgesetzt höfliche Sprache der Täter in FG). Auf einer anderen Ebene zeigt gerade SNE, daß man in bestimmten Situationen a) hart sein muß und b) sich mit Gewalt wehren können muß.

FG-Regisseur M. Haneke sagte über den Film (s. Wiki-Link oben), er versuche “Gewalt als das darzustellen, was sie immer ist, als nicht konsumierbar”. Mit so einer Aussage ist natürlich ein “Faß aufgemacht”: das trifft ja auf alle Horrorfilme, Thriller, Krimis zu, die zu Unterhaltungszwecken geschaut werden. Oder gehen wir weiter in der Zeit zurück: Bei den römischen Gladiatorenkämpfen hätte wohl niemand gesagt, Gewalt sei nicht konsumierbar. Vermutlich ist eine philosophische Ebene gemeint: man kann Gewalt nicht ‘konsumieren’, ohne daß die eigene Seele Schaden erleidet. Während gerade in den 90ern und frühen 2000ern die Diskussion um Computerspiele, v.a. Shooter, zeigen wollte, daß die virtuelle Gewalt verrohe, ist mit der Ausbreitung der virtuellen Welten und digitalen Kultur heute kaum noch etwas davon zu hören. Ist das Thema erledigt? Ich glaube – ganz persönlich -: nein. Ich merke, wie Shooter auf mich, auf meine Psyche wirken. Ich bin der Meinung, daß “zuviel davon” auf Dauer nicht gesund sein kann – das ist irgendwie “nicht konsumierbare Gewalt”.

Gerade bei FG muß man sich erst einmal von der oberflächlichen Absurdität des Gezeigten distanzieren, um in einen Reflexionsprozeß zu kommen. Die Gewalt ist hier unausweichlicher – vielleicht habe ich den Film deshalb schnell vergessen (wollen). Bei SNE leide ich mit.

Welche Lehre zieht man aus solchen Filmen? Gewalt ist Teil des Lebens auf diesem Planeten; und das “höchste” Wesen aller Tiere hat die elaboriertesten Folter- und Tötungsmethoden ersonnen. Was die (westlichen) zivilisierten Menschen heute v.a. kennen, ist psychische Gewalt, Mobbing wie in “So finster die Nacht” oder sexualisierte Gewalt. Daher ist man unvorbereitet, wenn tödliche körperliche Gewalt plötzlich explodiert. Will man diese Filme nicht nur auf der philosophischen Ebene belassen, muß man “mentaler Prepper” werden. Das heißt nicht, daß man in jedem “netten Fremden” den Gewalttäter vermuten muß, sondern daß eine Beziehung als eine Art Skala empfunden werden muß. Irgendwo auf dieser Skala kommt der Punkt, an dem man selbst Gewalt anwenden muß, um nicht unterzugehen. Bei SNE war das die Gewalt gegenüber der Tochter: die Flucht zur Fähre nach Dänemark ohne den geliebten Teddy. Um diesen Punkt zu setzen, zeigt der Film, wie der Teddy dann doch im Auto gefunden wird…

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