Nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 galt „Cuius regio, eius religio“ – wessen Gebiet, dessen Religion, das heißt, Landesherren konnten für ihre Untertanen bindend die Religion festlegen.
Mit dieser Sitte brach 1662 Graf Friedrich III. zu Wied, als er für die 1653 gegründete Planstadt Neuwied, im Gegensatz zu Altwied und seiner Burg direkt am Rhein liegend, die Religionsfreiheit einführte und damit für Zuzug verschiedenster Menschen und Religionsgemeinschaften (Brüdergemeine, Menonniten…) in die neue Stadt sorgte.
Im Jahr 1783 wurde der heutige „Alte Friedhof“ als erster kommunaler Friedhof, also städtischer Friedhof, angelegt – Friedhöfe (in alten Karten: Kirchhoff) der jeweiligen Religionsgemeinschaften hatte es schon früher gegeben. 1835 wurde er erstmalig erweitert, später dann 1856 und 1904. Bis 1965 wurde er durchgehend genutzt und dann geschlossen. Der Friedhof steht seit 1988 unter Denkmalschutz.
Er bildet ein langes Rechteck, eingeschlossen zwischen einem Krankenhaus, der Integrativen Gesamtschule Neuwieds und der heutigen Stadtverwaltung. Zentral steht ein Gebäude, als „Aussegnungshaus“ bezeichnet, in dem sich eine Dauer-
Ausstellung befinden soll, dahinter liegt die Grabanlage „Fürsten-Gruft“, wobei ich mir unsicher bin, ob es da tatsächlich einen Zugang zu einer unterirdischen Gruft gibt oder nicht.
Bestattet sind hier Mitglieder der Fürstenfamilie zu Wied, so der 1791 verstorbene Friedrich Alexander, 1. Fürst zu Wied, seine 1795 verstorbene Frau Caroline; Johann August Carl, 3. Fürst zu Wied, verstorben 1836. Als Letzte der Fürstenfamilie wurde 1867 hier Louise Wilhelmine Thekla, Prinzessin zu Wied, beigesetzt.
Die verwitterte, unlesbare Steintafel im Vordergrund erinnert an Prinz Maximilian zu Wied, der ab 1833 mit dem Zeichner Bodmer den nordamerikanischen Kontinent bereiste und Kontakte zu den indigenen Stämmen hatte, über die er berichtete („Die Reise des Prinzen zu Wied zu den Indianern“).
Sarkophag und Stele stehen für Grabstätten von wichtigen Bediensteten der Fürstenfamilie, oft Forstbeamte.
Die Übersichtstafel am (immer geöffneten) Haupteingang Julius-Remy-Straße weist einige besondere Grabanlagen Neuwieder Familien und Ehrenbürger aus. Es finden regelmäßig öffentliche Führungen über den Friedhof statt; Infos z.B. hier.
Als „Geschichte und Geschichten vom Alten Friedhof Neuwied“ gibt es 7 Bücher, herausgegeben vom 2023 verstorbenen Experten für diese Stätte, Hans-Joachim Feix. Sie erzählen Familiengeschichten, erläutern Grabdekor und -gestaltung usw.
Ich habe den Friedhof frühmorgens im leichten Nebel besucht und war eine Stunde ganz allein für meine Erkundung und die Fotos in dieser besonderen Atmosphäre.
Natürlich stand die Frage im Geist: Wann war ich denn zuletzt auf diesem Friedhof? Das kann ich genau sagen: vor 40 Jahren, 1985, mit D., meiner damaligen Freundin, einer ‚Waverin‘ mit langem grauem Mantel, spitzen, Pike-ähnlichen Schuhen und oft hochtoupiertem Haar. Wir erkundeten die Friedhöfe der Stadt – und waren somit auch hier. So lange ist das schon her. Heute kommt mir gerade der Innenbereich zwischen den Wegen deutlich verwilderter vor als damals – etliche Grabsteine werden von Pflanzen überwuchert.
Wer durch den Haupteingang kommt, betritt den alten Friedhofsteil und sieht am Ende des langen Hauptweges die Aussegnungshalle vor sich. Man kann sich aber auch links oder rechts halten und entlang der Mauern gehen. Links zwischen Mauer und der Halle liegt der Bereich der Kindergräber (und ein Trafo-Häuschen der Stadtwerke). Ganz im Osten (aus der beschriebenen Blickrichtung hinter der Aussegnungshalle), durch einen Mauerdurchgang abgegrenzt, liegt der jüngste Teil des Friedhofs mit sehr eng beieinander liegenden Grabstätten.
Nur ganz selten sieht man (frischen) Grabschmuck, einige Plastikblumen oder ein elektrisches Grablicht. Aber die verwitterten, oft unlesbaren Grabsteine dominieren das Areal. Ich habe mich zuerst links gehalten, bin an den Kindergräbern vorbei zur Aussegnungshalle, um sie herum zur Fürstengruft. Dann weiter zum jüngsten Teil des Friedhofs, kleine Runde, und zurück dann am südlichen Bereich der Mauer.
Ich war so früh, daß gut eine halbe Stunde gar keine Vögel zu hören waren. Erst dann turnten die ersten Meisen in den Zweigen herum. Gänse flogen tief über die Bäume hinweg. Ich war allein – mit so vielen Grabanlagen, Erinnerungen an Menschen, die z.B. vor über 200 Jahren verstorben sind. Gerade die Kindergräber berühren –
der Grabstein mit Engelsgesicht für das 1911 geborene, schon 1912 verstorbene ‚Söhnchen‘. Oder der kleine Albert, 1898 geboren, 1901 verstorben: „Hier ruht unser liebes Kind…“ – so lange schon. Dazu der Verweis auf Jesaja 55, 8, – man suchte Trost in „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege.“ Das klingt ein wenig wie Hohn.
Hier noch weitere Foto-Impressionen vom Besuch:











