Nach einer erneut ruhigen Nacht hatten wir am Morgen ein schönes Gespräch mit einem Paar aus der norddeutschen Szene, durch die wir einige Einblicke in „Szene-Tratsch“ bekamen, so was Mono Inc. angeht oder Teppichverkäufer und Innenausstatter. Die beiden verteilten Flyer für eine finnische Band, zu der ich hier bald einen eigenen Artikel schreiben werde. Sehr schönes Gespräch, danke M. und G.
Coppelius wollte ich unbedingte zum zweiten Mal sehen. Vergleicht man ihre Beherrschung der klassischen Instrumente in Verbindung mit eigener Musik und toller Show, dann muß man schon sagen, daß Apocalyptica eher nach hinten runterfallen. C. waren toll – das ist eben auch ein Teil „schwarzer Musik“. Ich mochte speziell das Lied „Operation“, wo der im Grunde tödlich verwundete Duellist zum „halbstudierten Arzt“ kommt…
Schnell rüber zur Club Stage für einen ebenso guten Auftritt von Torul. Die Slowenen spielen eine sehr interessante Mischung aus Wave und Synthpop. Sehr gut der Song „We don’t care“, dessen lyrics ich mir einmal genau anschauen muß.
Zwischenstop Mittelaltermarkt, denn da gibt es gutes Essen; wir schaufelten uns Spätzle in praller Sonne rein. Kurz an den Ständen vorbeiflaniert, aber was ich suchte, fand ich nicht. Dann zurück zu Corvus Corax, die ich früher sehr intensiv gehört habe. Auch so eine Band, die jetzt im Trend der Zeit liegend ganz viel nordische Themen in den Songs und auch bei Kleidung und Bühnenbild umsetzt – Vikings sei dank. Mit einer der „dämonischen Gestalten“ auf der Bühne hatte Corri-May am Vorabend schon Bekanntschaft gemacht…
Corri-May wollte im Anschluß unbedingt die „Bläck Fööss öp schwatz“ sehen (Versengold). Ich schreibe dazu nichts.
Lacuna Coil haben wir sitzend so irgendwie im Zentrum des Infields erlebt. Bei dieser italienischen Band meine ich immer, sie haben (noch) keinen eigenen Stil gefunden: oft höre ich sowas wie Within Temptation raus, dann wieder härteren Metal. (Was im Grunde Unfug ist, da die Band seit gut 30 Jahren besteht und dies eben ihre eigener Stil ist.)
Aber: ich sehe und höre sie immer wieder gern, auch wenn keins ihrer Lieder in eine Playlist bei mir rutscht.
Für Blutengel gingen wir ganz nach vorne. Ich mag Chris Pohl in seiner Art und wie er das Projekt aufzieht. Gerade die Tänzerinnen bzw. Teufelin-/Nonnen-Performerinnen tragen zum Gesamtkonzept bei. Ok, bißchen nervig dieses zum Keyboarder hin ständig wiederholte „Wir haben nur wenig Zeit, laß uns weitermachen.“ Blutengel stehen für mich für das Genre Dark Pop, das ich doch ab und an gerne höre, insbesondere bestimmte, hymnische Songs (wie das leider nicht gespielte „The War between us“).
R. und L. kamen dazu, wir gingen noch etwas vor, um Subway to Sally zu erleben. Mit mehrfachem Bezug zu der Winter-Tour „Eisheilige Nächte“ (mit verschiedenen anderen Künstlern), spielte man das 20 Jahre alte Album „Nord Nord Ost“ komplett, darauf so schöne Titel wie „Sieben“ oder „Eisblumen„.
Es gab eine Zeit, da war ich komplett in StS vernarrt, aber heute ist das vorbei. Man entwickelt sich weiter, der Musikgeschmack wandelt sich. Doch ebenso: Wenn ich heute auf die alten Alben wie „Bannkreis“ oder „Foppt den Dämon“ zurückschaue, ist das andere Musik als die moderne.
Weder an And One noch an DE/Vision interessiert, gingen wir für ein kaltes Bier und ein paar Chips zum Wagen zurück.
Wen habe ich verpaßt? Faun, die hätte ich mir gerne noch einmal angesehen, dann auch Rotersand, Faderhead, In Strict Confidence. Wie war das mit den zwei Hochzeiten?
Fazit: Warum macht der Veranstalter groß auf „25. Jubiläum“ bzw. stellt immer die 25 raus, wenn es meiner Zählung nach das 24. Festival war? [2000 bis 2019 20 Festivals, 20 und 21 ausgefallen, 22-25 +4]
Das hat mit vielleicht mit Kommerz zu tun, – und das ML ist komplett kommerziell durchstrukturiert – jetzt auch mit „VIPCave“-Container. Natürlich spielen da immer die (fast) gleichen Bands – oder, sagen wir, Bands aus einem bestimmten Pool. Auf Insta fragte jemand, warum nicht mehr queere oder non-binäre Künstler engagiert werden. Na ja, weil die wenige Leute kennen, und das Geld am Ende stimmen muß. Deshalb macht man aus dem 24. ML das 25. Jubiläumsjahr, was kalendarisch stimmt. Doch ich will nicht mosern: Ich war bei den ersten 5 oder 6 ML dabei, für mich ist das schon eine homecoming experience, wenn ich das Flugfeld sehe. Ich bin gerne dort, aber die Stimmung hat sich verändert.
Der Kommentator auf Instagram, der meinte, die Camps (WoMo-Bereich) würden „immer riesiger und dreister“, hat da einen Punkt. Ich dachte, in der Szene ist das Badetuch-auf-Liege-Syndrom als spießig verpönt, aber nein, man reserviert Plätze für Leute, die spät am Freitag ankommen, während andere mit langem Gespann Runden drehen und als Bittsteller auftreten müssen: „Ist da noch was frei?“ „Nein, da kommen noch Freunde von uns.“ Und diese Freunde kommen dann gern auch mit Zelt auf den WoMo-Bereich. Aber: wo gelangweilte Ordner keinen Bock oder keine Anweisung haben, etwas zu unterbinden, da läuft es dann so. (Und es gab auf Insta auch wieder Klagen, daß Ordner sich über das Aussehen von Besuchern lustig machten.)
Bzgl. der Dixie-Klos gab es massive Beschwerden schon Freitag – es fehlten „gefühlt“ zu viele. ML-Orga sagte: nö, gleiche Anzahl wie letztes Jahr, aber wir bessern nach. Mein Eindruck war auch: weniger als 2023. Und Corri-May sagt, die Dixies im Infield waren gegen Abend siffig und voll – und wurden ggf. nicht abgesaugt/gesäubert.
Was die Atmosphäre angeht, auch die Frage, ob das ML ein Festival der „Schwarzen Szene“ ist, bin ich ambivalent. Ich fange mal mit einer Frage an uns aus einem Gespräch beim Stella-Nomine-Festival am darauffolgenden Wochenende an: „Was, ihr fahrt noch zum M’era Luna?!“ Kurz erklärt, wieso. Antwort: „Da ist uns zuviel Buntvolk.“ Später wurde noch der Begriff der „Gothic-Touristen“ erwähnt, also Leute, die sich für Festivals verkleiden. S. erzählte weiter, er sei auf dem Zeltgelände des ML im letzten Jahr auf eine Gruppe zugegangen, die nonstop Schlager spielte – von Griechischer Wein bis Santa Maria. Er fragte, ob man denn auch auf „Ballermann-Feten“ ginge, was bejaht wurde. Fast hätte er sich für seine Kritik Schläge eingefangen, die Stimmung wurde gereizt. S.s Fazit: „So ein Festival mit so Leuten brauch ich nicht.“
Schaut man in die Insta-Kommentare, da findet man so Aussagen wie „immer mehr Fasching“ oder das Festival sei etwas für „Mainstream LARPer“. Mir ist aufgefallen, daß Hörner aktuell immens „in“ sind, also so „Teufelshörner“ zum Aufstecken/Ankleben.
Anderes Beispiel: Beim ML sieht man unglaublich viele Regenbogen in jeder Verwendungsart: aufgemalt, als Patch oder Pin, als Fahne oder Kleidungsstück – bis hin zu den Regenbogenperücken der Tänzer beim Subway-to-Sally-Auftritt. Beim Stella Nomine, eine Woche später, habe ich bewußt keinen einzigen Regenbogen wahrgenommen. Heißt das, die SN-Besucher sind intolerante, anti-woke Schwarzlinge? Nein, mit Sicherheit – wir haben direkt neben einer Antifa-Abordnung gecampt – sind die SN-Besucher genauso offen, tolerant, inklusiv wie viele ML-Besucher, aber man muß es dort offenbar nicht mit besonderer Betonung nach außen transportieren, weil… Ja, warum eigentlich? Vermutlich weil die Schwarze Szene schon immer tolerant war, jeder sein Wesen oder seinen kink ausleben konnte: früher z.B. zu Homo-/Bisexualitäts-, Fetisch- und BDSM-Themen, heute eben zum Thema LGBTQIA+. Anders: man zeigte sich, so wie man war, aber man mußte nicht noch ein Etikett (Regenbogen) tragen, um zu zeigen, daß man TATSÄCHLICH so war, wie man denn war. Von dieser Auffassung ist vielleicht mehr bei den SN-Besuchern übriggeblieben.
Ist nun das ML als solches ein Festival „aus der schwarzen Szene – für die schwarze Szene“, wie J. Rohde von FKP Skorpio meint?
Ich komme eher zum Schluß: das ML ist so etwas wie ein „Alternative Culture Fest“ mit Anteilen von Fantasy- bzw. SciFi-Con. In diesem Sinne empfinde ich die Schwarze Szene als eine (große) Teilmenge der Festival-Besucher, sagen wir 60%. Dann würde ich 10-15% Mittelalter und VIKINGS! hinzuzählen. Der Rest, immerhin 25-30%, sind dann alle anderen in ihren Fremen- oder Avatar-Kostümen, den rosa Jackets, Neon-Dreadlocks oder anderweitig bunten Klamotten. Nicht falsch verstehen! Ich habe nichts gegen diese Leute an sich oder auf dem ML, aber ich benenne, welchen Eindruck ich vom gesamten Event habe. Denn ich muß entscheiden, ob ich nächstes Jahr wiederkomme.
Überhaupt, der massive Einfluß nordischer Mythen, Religion und (v.a.) Wikinger-Kultur ist m.E. so hoch wie nie. Wie oft höre ich in Songtexten Ragnarök, Odin, Valhalla, Geri & Freki usw.! Interessant dabei ist, dass es offenbar nicht um gelebte heidnische Religion geht, denn die beiden deutschen Vereine für germanisches Heidentum dümpeln vor sich hin. Auch beim Stil sind viele Leute eklektisch: zum Körper voller Norse-themed Tattoos gehen auch die schon erwähnten, angeklebten Teufelshörner. Alles sehr spannend.
Wenn ich sage, daß ich mich doch wohlgefühlt habe, dann bin ich schon etwas zwiegespalten. Ich liebe die Location, mag die Stimmung nachts auf der Start-Landebahn. Aber manchmal denke ich, daß mir das ML eben tatsächlich zu bunt wird. Und ich merke, daß ich diesen Begriff vom „Mainstream LARPer“ immer im Kopf habe, manchmal innerlich schmunzelnd, öfter genervt.
2026 – zum 25. ML (JUBILÄUM!) – werden wir doch wieder dabei sein. Es wird nie mehr so wie 2000, 2001 oder 2002 sein, aber auch ich bin nicht mehr 25 Jahre jünger. Vielleicht nörgle ich mehr, wo andere abfeiern. Aber wenn ich sehe, wie sich Menschen mit Rolli oder Rollator langsam Richtung Infield bewegen, dann ist das für mich auch ein Gefühl von Heimat. Hier werde ich in gar nicht so vielen Jahren vielleicht auch mal mit Rollator auftauchen. Der Spruch auf dem Festival-Bändchen, „Auf die nächsten 25 Jahre M’era Luna“, macht mich aber auch etwas traurig, denn die Entwicklung über diese lange Zeit werde ich nicht mehr vor Ort miterleben können.
Berichtet hat der Rush – hier mit Corri-May vor dem „Seelenbrecher“ von Plage Noire. Rush out.



