The Resurrectionist (White)

Vorab-Hinweis: Der vorgestellte Roman enthält massive, auch sexuelle Gewaltdarstellungen. Ich bespreche ihn in neutraler Sprache, er sollte aber erst ab Volljährigkeit gelesen werden.

The Resurrectionist“ ist so ein wenig wie Friedhof der Kuscheltiere ‚on speed‘. Schaut man kurz auf den biografischen Hintergrund des Autors Wrath James White, dann paßt der Roman mit seinem krassen Inhalt: White, geboren 1970, ist vom Straßenkämpfer in die Schwergewichts-Liga beim Kickboxen aufgestiegen und war/ist Trainer für verschiedene Kampfsportarten. Er hat einen hohen literarischen Output im Horror-Genre, wobei ich zu sonstigen Werken nichts sagen kann.

Der weitere Text spoilert den Roman in seinen Grundzügen, nicht in allen Details…

Bei „Pet Sematary“ ist es der alte Indianerfriedhof mit seinen Kräften, der nicht nur tote Tiere wieder zurückbringen kann; hier ist es Dale McCarthy, ein von der Gewalt zwischen seinen Eltern traumatisierter Junge, der plötzlich feststellt, daß er Tote wiederbeleben und deren verletzte Körper heilen kann. Das ist im Grunde die (einfache) Plot-Idee, die nun dergestalt ausgeformt wird, daß Dale diese Kraft aufgrund seiner Traumata in einem „bösen“ Sinne ausnutzt.

Zeitlich bewegen wir uns in drei Phasen seines Lebens: Vom Gewaltakt zwischen den Eltern, den White als Einstieg wählt, zum Leben des älteren Jungen mit Mutter und Großmutter (mit entsprechenden „Tierexperimenten“) zum erwachsenen Mann, der in seiner Nachbarschaft die „Liebe seines Lebens“ findet, die mit Josh verheiratete Sarah.

Interessant, aber leider nur oberflächlich bleibend sind die philosophischen und theologischen Einschübe. Es ist die Großmutter, die den „Teufel“ in Dale am Werk sieht. Die Mutter hingegen sieht v.a. das, was Dale sich selbst antut, indem er zunächst Tiere tötet: hier wird kurz auf Christen angespielt, die ein moralisches Leben führen, weil und nur weil es Gott gibt. Gäbe es ihn nicht, würden sie Gewalt in jeglicher Form ausüben (können); man denke an Dostojewskis Zitat, wonach „ohne Gott alles erlaubt“ sei. Die Mutter spürt, daß ihr Sohn durch die erlebte väterliche Gewalt ein Trauma hat. Die Beziehung zwischen beiden geht über die Jahre kaputt – und die Mutter trifft eine entsprechende Vorsehung bei ihrem Tod, so daß Dale sie nicht gegen ihren Willen zurückbringen kann.

Das Thema „Gott erschafft das Leben“ ist immer mal wieder, aber oberflächlich eingebaut. Dale kann die (göttliche?) „Lebensenergie“ manipulieren, etwas, das mit Gott und dem Guten verbunden wird. So steht kurz die Frage im Raum: und wenn diese Energie aber böse ist oder nur chaotisch? Wenn Dale also Gott spielt, nur im bösen Sinn? Jesus konnte Tote erwecken, tat ihnen und den Angehörigen etwas Gutes. Dale erweckt sie, um sie erneut vergewaltigen zu können…

Der erwachsene Dale ist nicht sonderlich attraktiv, ein Eigenbrötler, für den gilt: „He believed the only way he’d ever get a girl would be to kidnap one.“

Die „Beute“ zieht dann direkt gegenüber von ihm ein: Sarah, die perfekte Frau für Dale. Sehr gut ist nun beschrieben, wie Dale mit ihr in seinem Sinne „spielt“, was der Leser natürlich weiß, aber Sarah hat keinerlei Ahnung, warum sie sich nach dem Aufwachen komisch fühlt oder Blut bzw. Sperma im Mund schmeckt. Das geht soweit, daß Sarahs Partner der von ihm als nymphomanisch wahrgenommenen Frau vorwirft, sie habe Sex mit anderen Männern. Dales Praxis ist halt so außerhalb der Realität, daß man es kaum glauben kann.

Nettes Zitat außerhalb des Reviews: „The necro-sex sites were all geared toward the Goth crowd.“ Aha… 🙄

Viele Stellen regen zum kurzen Innehalten und Nachdenken an, wie: „He wasn’t hurting anyone.“ Wirklich? Daß er mit dem freien Willen einer Person spielte, mit deren körperlicher wie seelischer Unversehrtheit, das kam ihm nicht in den Sinn.

Dieser mittlere Bereich des Romans ist für mich der spannendste. Natürlich kommen dann die Überwachungsmöglichkeiten ins Spiel, natürlich glaubt die Polizei Josh & Sarah nicht, geht sogar davon aus, daß die Videos der Überwachungskameras editiert sein könnten.

Der Autor kann dann noch eine stilistisch gute Wendung einbringen: ein involvierter Polizist erinnert sich an einen alten, aber sehr ähnlichen Fall. Das Opfer lebt noch und kann befragt werden. Auf diesen kleinen Triumph hat die Frau wohl gewartet: „He’s at it again isn’t he? He’s doing it to her? Now do you believe me?“

Dale entwickelt im Verlauf des Textes immer mehr so eine Art Sendungsbewußtsein: Gott sei auf seiner Seite. Seine Taten sind eine „Liebesmission“, denn: „murder is sin.“ Macht er ja nicht…

Zum Ende hin, dem großen Show-Down, wird es schon etwas abenteuerlicher, als ich es gebraucht hätte. Ich will es nicht komplett verraten, aber es fällt auf, daß die Reanimierten sterben, wenn Dale selbst stirbt…

Für mich ein spannender, kurzweiliger Roman, der eben das Thema aufgreift: wenn ich etwas nicht bekomme, darf/kann ich es mir einfach holen? Das ist die große Frage nach der Moral, wobei Dales Mutter schon früh erkennt, daß Dales Handlungen, die aus seiner sonderbaren Kraft folgen, nicht wertfrei sind, sondern er damit seinem eigenen moralischen Kompaß, seiner Seele schadet.

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