Ich hatte Tish Weinstocks Buch schon länger „auf dem Radar“, aber nun habe ich es mal (quer-)gelesen. Somit kurze Besprechung, damit ihr wißt, was euch erwartet.
Weinstock schaut auf ihr Buch als eine Art Anleitung zum Goth-Sein, aus der Menschen Kraft schöpfen können, wenn der Druck von „cultural conformity“ zu stark wird. So startet sie mit ihrem eigenen Werdegang, an den sich eine kurze, aber doch prägnante „Geschichte des Goth“ anfügt, die sehr übersichtlich gestaltet ein klassisches „Goth name-dropping“ ist. Gefällt mir gut. Sie faßt zusammen, Goth sei „a subterranean music and style scene unified by an aesthetic of darkness.“
Dann kommt ein interessantes Statement: Während es in den 80ern noch wichtig gewesen sei, als Goth einem unausgesprochenen, doch immer präsenten „Code“ zu folgen, quasi um dazugehören zu können, sei das heute anders. Heute solle/könne man „goth-coded“ sein, was ich so interpretiere, daß man sich frei zwischen Musik-Genres, Clubs, Szenen bewegt, wie einem gerade der Sinn steht, aber durch bestimmtes Styling, durch bestimmtes Accessoires „wird“ man dann (Teilzeit-) Goth.
Weiterhin wichtiger Hinweis: Das Buch ist explizit auf Frauen / Mädchen fokussiert; ganz am Ende werden einige „maudlin men“ von Andrew Eldritch bis Gomez Addams erwähnt… Nach der Einleitung ist die Unterteilung dann nach dem Alter: Für Teenager der Bereich „coming of age“, gefolgt vom Bereich für die Personen mittleren Alters (Beruf, Haus, Kinder…) und zum Abschluß das Kapitel über die älteren Goth-Ladies.
Gemäß des Untertitels des Buchs, „Notes on Undead Style“, legt Weinstock viel Wert auf den Dresscode, im Grunde Kleidungsvorschläge für jede Altersgruppe. Das reicht von einfachen, überall erhältlichen Kleidungsstücken wie schwarzen Lederjacken bis hin zu Designer-Klamotten. Da ich mit Mode nichts am Hut habe, lese ich die Namen wie Vokabeln einer fremden Sprache…
Dem Dresscode folgt die „Beauty Checklist“, in der es v.a. um Schminken und Körperschmuck geht, auch jeweils für die gerade besprochene Altersgruppe. Später werden noch Boutiquen rund um die Welt erwähnt, wo man die entsprechende Kleidung kaufen kann, also für die „Glam Goths“ *hust*
In eigenen Kapiteln werden „Gothic heroines“ vorgestellt, wobei es sich z.T. um reelle Frauen handelt, andererseits auch um Kunstfiguren wie „Wednesday Addams“. Diese Bereiche (Kurzvorstellung und Zitate) nehmen viel Platz im Buch ein – auch hier: Weinstock trifft mich da an einem blinden Fleck. Oft habe ich höchstens mal den Namen der Person gehört…
Abschließend gibt es Tips zu Inneneinrichtung des „Goth“-Hauses, zu Filmen, die man sich anschauen kann, zu klassischen Romanen von de Sade bis Anne Rice.
In diesen allgemeinen Bereichen (zu Anfang die kurze Geschichte des Goth, später auch die umfangreichen Filmempfehlungen) ist das Buch sehr gut: ich mag Weinstocks prägnanten Stil. Wer sich nicht durch Robb’s „Art of Darkness“ quälen will, findet hier häppchenweise die Startpunkte fürs weitere Eintauchen in das Thema.
Andererseits ist es ein Buch, das eben – im wörtlichen Sinne – „nicht für mich“ ist. Es wendet sich an Frauen in drei konkret benannten Altersbereichen. Darüber hinaus ist das Styling ein absoluter Schwerpunkt.
Mir fällt es schwer, das Buch zu kritisieren, weil ich glaube, daß es ganz klar seine Berechtigung hat – vielleicht am ehesten für junge Frauen auf ihrem Weg hin zum Gothic.
Ein Kritikpunkt wäre: es beleuchtet die Gothic Szene als zu mode-fokussiert, so als wäre Styling, die äußere Hülle, wichtiger als das „dunkle Innenleben“. Das ist ein Gedanke, der mir immer fremd war, daher stehe ich in gewisser Distanz zu solchen Werken.
Mit dem Begriff „goth-coded“ verweist Weinstock meiner Auffassung nach darauf, daß es jeweils darauf ankommt, „richtig gestyled“ zu einem Event zu erscheinen, denn: dann gehörst du dazu! Am nächsten Wochenende kleidest du dich dann für eine andere Szene – und bist auch da „drin“.
Das ist meiner Meinung nach die einzige problematische Ausdeutung, die man herauslesen kann. Schwarze Seelen ohne Vorliebe für intensives Styling und Make-Up werden vielleicht nicht so viel mit dem Buch anfangen können.
Ich denke, es ist auch ein Buch, das im Trend des „Wiederauflebens“ des Goth (nicht der Szene, eher des Stylings) liegt, siehe die Wednesday-Serie, die gerade auf Netflix mit der 2. Staffel gestartet ist.
Damit entsteht in meiner Wahrnehmung letztlich doch ein Zwiespalt: auf der einen Seite steht die Aussage: sei selbstbewußt, sei du selbst, sei „goth-coded“, sei szene-fluid. Auf der anderen Seite werden dann Dutzende Namen und Mode-Label genannt, an denen man sich – anders ist das Buch ja nicht gemeint – orientieren kann bzw. soll. Alle Vorschläge von der Goth-Ikone zum Eyeliner sind im Grunde Schablonen, die man auf sich anwenden kann, damit man „richtig“ im Stil liegt. Heißt: ich meine, mit dem Buch findet man nicht zwangsläufig den eigenen Stil, aber es kann ein Startpunkt sein.
Wer etwas deutlichere Kritik möchte, schaue beim Blogging Goth vorbei. Er schreibt z.B.: „I believe Tish Weinstock’s book isn’t for goths. It’s for another very niche group – a consumer group with actually disposable income, looking to rebrand on the back of a cynical commodification of the goth subculture. (…) (A)nyone looking to dip a toe into the scene based on these recommendations will meet with a frosty reception.“
Abschluß-Zitat (S. XV):
„The pain of simply existing is something we can all relate to, which is why the state of being goth traverses time and space. An outward expression of otherness, there are myriad ways to be a goth; it’s a (life-long) journey of self-discovery.“