Der Text von Shirley Jackson, eher längere Erzählung als Roman, war der letzte, der vor ihrem Tod veröffentlicht wurde (1962). Mir wurde geraten, ihn ohne Vorkenntnisse zu lesen, somit wußte ich nicht, was mich erwartete. Letztlich habe ich auf ein Horror-Element gewartet, das nicht eintraf: es ist eine Art Mystery-Erzählung. Ich muß dazu in groben Zügen spoilern…
Ich glaube, daß die psychologische Deutung die wichtigere ist, insbesondere weil lt. Wikipedia die Autorin selbst unter Agoraphobie litt, also der Unfähigkeit sich auf offenen Plätzen mit vielen Menschen zu bewegen.
Dieser Zug an ihr findet sich in gleich zwei von drei Hauptcharakteren.
Im Blackwood-Anwesen am Rande einer Ortschaft leben der alte, kranke Julian und seine Nichten Constance and Mary Katherine („Merricat“). Diese Drei sind Überlebende eines Mordanschlags auf die Familie vor sechs Jahren.
Da die ältere Schwester, Constance (Ende 20), das Haus nicht verläßt, begleiten wir als Leser die 18-jährige Merricat zu Einkäufen im Ort. Dort ist die Welt der „anderen Menschen“, die mit Argwohn, Spott und Haß auf die Blackwoods schauen: „The people of the village have always hated us.“
Wir erleben in Merricat eine junge Frau, die eher kindlich denkt und spricht, geheime Rituale und Schutzzauber durchführt, Geschichten von Katzen versteht und eines nicht mag: Veränderungen. Das gibt ihrem Charakter einen sehr kontrollierenden Zug. („On Sunday mornings I examined my safeguards, (…) so long as they were where I put them nothing could get in to harm us.“)
Die größte Bedrohung tritt dann mit Cousin Charles ins Leben der drei Bewohner, der sich um Constance (und deren Geld / das Anwesen) bemüht. Merricat spricht über ihn nur als „Ghost“ und reagiert mit fatalen Folgen auf sein „Eindringen“ in das Haus. Die „Dorfgemeinschaft“ tritt zur Hexenjagd an. Die zwei Schwestern überleben / leben in den Ruinen des Anwesens – Gefängnis und Schutzraum in einem.
Eine klaustrophobische Atmosphäre durchzieht das Buch. Der Leser erlebt die Handlung durch Merricats Person erzählt und gefiltert. Sie ist nicht so unschuldig, wie es zu Anfang scheint, wohingegen Constance passiv wirkt, auch Schuldfragen nicht äußernd, z.B. was die Ermordung der Familienmitglieder angeht: sie weiß, wer es war, thematisiert das aber nur ein einziges Mal. „We’ll never talk about it again. Never.“
Das Buch ist ein stiller, auch langsam zu lesender Text über Isolation und die dunklen Geheimnisse in Familien. (Und letztlich auch ein Text über Zwangshandlungen und Aberglaube.) Allein wegen der schönen, poetischen Sprache werde ich irgendwann noch einmal lesen. Wenn Constance und Merricat sich immer mal wieder über das „Leben auf dem Mond“ unterhalten, können die Ruinen am Ende als Mondlandschaft interpretiert werden, speziell wenn Merricast sagt: „I am living on the moon, with Constance.“ Aber ein Happy End im klassischen Sinne ist das nicht.