Ich habe von 2008 bis ca. 2017/18 World of Warcraft gespielt – immer mal wieder, oft mit langen Pausen dazwischen. In diesem Text möchte ich mit zwinkerndem Auge auf Entwicklungen in WoW schauen – und diese dann in Relation zur Schwarzen Szene setzen. Das wird möglicherweise holprig – schauen wir mal:
Die intensivste Zeit hatte ich als Zwergen-Heiler auf der Ewigen Wacht in der Gilde „Die Nachtjagd“. Abend für Abend ging es mit Thordil, Solomar, Xoana und anderen in die Dungeons der Fantasywelt. Das Spiel funktioniert ja entlang der drei typischen Charakterklassen, die viele Spiele sehr ähnlich umsetzen: der „Tank“ nimmt den Schaden, bindet die „Mobs“ (Gegner) an sich; der „DD“ oder Damage Dealer bekämpft die so gebundenen Mobs; der Heiler, nun ja, der heilt vor allem den Tank, aber auch die DDs, wenn sie Schaden bekommen. Meine besondere Situation als Manivin („Mondfreund“), Zwergen-Heiler, war, daß ich oft ohne echten Tank, sondern mit mehreren Jägern gleichzeitig unterwegs war, das heißt: deren Tank Pets (ein Tier als Jägerbegleiter) mußte ich abwechselnd heilen. Wurde das zu hektisch, ging das alles schief, fielen die Jäger in Todesstarre, die Gegner rannten weg, der Heiler starb – und wurde wiederbelebt… Jesus einmal – ich oft.
Als Gilde versuchten wir uns auch an Raids, also den größeren Instanzen für Dutzende von Spielern, wo man oft minutenlang gegen die Endbosse kämpfte. Unser Thema – als Gilde – waren aber Dungeons, dann gemeinsames Erkunden der Gebiete (der Erweiterungen) und immer wieder das Hochspielen von „Alts“, neuen Charakteren, die man ausprobieren wollte.
Verbunden war man über ICQ und Teamspeak, allein diese Namen künden schon von vergangenen Zeiten…😉
Wir tickten als Gruppe ähnlich, haben uns aber nie persönlich getroffen. Man bekam viel untereinander mit – auch familiäre Probleme, Beziehungsstreß (auch wegen WoW), bis hin zur Spielsucht eines Mannes, der – so erzählte jemand, der mit ihm telefoniert hatte, – im Versuch, das Spielen zu kontrollieren, seinen PC kurzerhand aus dem Fenster geworfen habe.
Die Gilde ist irgendwann „eingeschlafen“. Ich weiß gar nicht mehr, warum das so war. Spieler kamen weniger oft online, der Tank kämpfte mit der Spielsucht, bei mir (und anderen) änderten sich die Spielvorlieben, aber auch das Spielverhalten (= weniger). Als ich Jahre später wieder einen Charakter auf der Wacht hatte, die wohl schon mit anderen Realms zusammengelegt worden war, gab es zwar noch die Nachtjagd-Gilde, aber das waren komplett andere Leute. Der Name blieb, die Leute waren ausgetauscht.
Warum erzähle ich das? Weil ich gerade wieder einmal testweise eingestiegen war, um zu schauen, wie sich WoW heute für mich anfühlt. Ich war auf dem ersten Server, auf dem ich 2008 einen Charakter erstellt hatte, der Forscherliga, und zwar mit einer Zwergen-Jägerin. Dank ChatGPT bin ich einigermaßen up to date, was die letzten Erweiterungen und massiven Eingriffe in das Spielerlebnis angeht. Nach dem Questen im Startgebiet bin ich direkt zum Inhalt der Erweiterung ‚Legion‘ gesprungen.
Die für mich auffälligsten Änderungen gegenüber früher™:
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Früher mußte man an seiner Spell-Rotation arbeiten, mußte schauen, welche Fähigkeiten sich hintereinander einsetzen lassen, um maximalen Schaden oder Heilung zu erzielen. Man suchte nach der „perfect rotation“.
Heute gibt es eine einzige Taste, die eine Rotation vorgibt – eben aus den ausgewählten Talenten. Man kämpft also nur mit einer einzigen Taste. Stirbt mein Jäger-Tier, gibt die Taste „Revive Pet“ vor.
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Alle Regionen skalieren nun über eine Art Instanzen-Modell, das man z.B. in Sturmwind beim Charakter Chromie „bucht“. Per „Zeitreise“ ging ich zu den Verheerten Inseln, dem Gebiet der Erweiterung Legion – und alle Mobs waren Level 20, so wie ich.
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Dungeons, für die man früher eine 5er-Gruppe brauchte, sind heute solo spielbar, indem man NPC-Charaktere mitnimmt.
Das fasse ich so zusammen: die Individualisierung, die wir in der Gesellschaft erleben, ist Teil des Spiels geworden. Frühere Gruppenereignisse, wie Dungeons auf Level des Spielers, die man nicht allein meistern konnte, sind heute „solo content“. Selbst der ‚Dungeonbrowser‘ war vor 15 Jahren oder so ein Schritt in diese Richtung. Die Welt fühlt sich weichgespült an, weil es keine Regionen mehr gibt, in denen die Gegner unterschiedliche Level haben. So Situationen, wenn man unbedingt eine Quest abgeben wollte, dafür aber irgendwie durch ein hochleveliges Gebiet mußte, was schon einen Nervenkitzel brachte, sind weg. Letztlich kämpfe ich mit Ein-Finger-Methode, drücke immer die gleiche Taste, die automatisch unterschiedliche, gerade passende Talente vorgibt. Wohlgemerkt: das muß ich nicht, ich kann auch weiter eine eigene Rotation bauen und schauen, daß ich die Tasten ab 7 aufwärts noch sicher im „Eifer des Gefechts“ treffe, weil sie nicht mehr so günstig für die linke Hand (und End-50er) liegen.
Individualisierung, Weichspülung und extreme Vereinfachung – kommt das jemandem bekannt vor? Für mich ist es ein gesellschaftlicher Trend, der jetzt auch – zu meiner wirklichen Überraschung, denn ich hatte die Entwicklung von WoW nicht mehr weiterverfolgt, – im Spiel angekommen ist.
Was heißt das für die Schwarze Szene? Nix, denn die WoWler sind Fantasy-Freaks, die laufen allenthalben mit Methörnern über die Festivals… (*scherz*)
Vielleicht muß man fragen: erleben wir in der Schwarzen Szene ähnliche Vorgänge?
Wir sprechen vom Club-Sterben, an dem ein Anteil die (sinkende) Zahl der Personen ist, die Clubs aufsuchen. Kann es sein, daß komplett durchorganisierte Festivals „mainstreamiger“ sind, daher eher akzeptiert werden? Oder spielt da eine allgemein-gesellschaftliche Komponente rein? Manche Menschen fühlen sich unwohl, wenn sie abends/nachts durch Innenstädte laufen müssen. Das in manchen Fälle auch abgesperrte (gesicherte) Festival-Gelände bietet eher einen „safe haven“.
Im Hinblick auf die Individualisierung gibt es bei Festivals keinen Dresscode: Wirst du mit gelb-kariertem Jackett evtl. vom Club-Türsteher nicht reingelassen, ist das bei Festivals völlig egal – bzw. im Gegenteil: wenn du schräg gestylt (lies: nicht schwarz) bist, hast du eine hohe Chance darauf, mit Bild in den Sonderausgaben von Orkus oder Sonic Seducer oder in den „After Movies“ aufzutauchen. Finde den Fehler.
In diesem Sinne entspricht der „auto attack“-Taste die oft sehr ähnliche Musikauswahl bei Events: in Clubs möchte man seine Lieblingslieder hören, auf Festivals werden die oft gleichen Bands vom Veranstalter vorgegeben, weil sie aktuell im Trend liegen, beim Kooperationspartner unter Vertrag sind usw. Als „schwarzer Szenerich“ muß ich mir nicht die Mühe machen, kleine, alternative Bands aufzuspüren, wo mir doch alles schick und easy präsentiert wird. Ach, dann höre ich eben Witt zum drölfzigsten Mal – egal, ist doch gut. Wie? Lorning? Du meinst ‚Learning‘? Nie gehört…
Tip: eigene „Rotation“ (Playlist) erstellen und die Musikwelt via Bandcamp oder Spotify oder … erkunden.
Große Festivals wie das M’era Luna mit 25000 Besuchern empfinde ich als unpersönlich. Ich gehe in der Masse auf, während ich bei kleineren Events dieselben Personen öfter sehe und eher mit ihnen ins Gespräch komme. Der „unsichtbare“ Spieler-Pool von WoW ist wie so ein Mega-Festival. Masse bietet aber auch Anonymität: ich bin (sichtbarer) Teil, muß aber nichts von mir preisgeben – außer dem, was ich optisch hermache. Mich erinnert das an unser o.e. Gilde, wo wir über z.T. sehr private Dinge sprachen, uns aber nie persönlich kennengelernt haben. Ich habe noch nicht einmal Gesichter zu den „Alter Egos“, mit denen ich Abende lang Zeit gemeinsam verbracht habe.
Nebenbei: der besagte spielsüchtige Mitstreiter „farmte“ gerne Ruf bei verschiedenen Fraktionen (stellte sich mit ihnen also auf eine günstigere Stufe), wo er dann z.B. ein spezielles Reittier erhalten konnte. Repetitives Killen von Monstern, tagelang. Als er dann mit einem ziemlich cool aussehenden Reittier zum Gildentreffen kam, war das Staunen groß, aber ich weiß noch, daß ich dachte: was hast du dafür investiert, was hast du aufgegeben?
Noch einmal: diese Anonymität schützt. Und ich entscheide – im Rollenspiel oder auf einem Szene-Event – wieviel ich von mir preisgebe durch Kleidung und Accessoires. Ich glaube, daß (mehr) Menschen es mögen, ihre öffentliche Sichtbarkeit so steuern zu können; auch das ist Individualismus, der nicht an Dresscodes hängt.
In kleineren Gruppen ist das anders, auch beim Szene-Treff: Wo ist XY? Die habe ich schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen… Hängt jetzt mit den YZlern ab. Ach so, wieder eine weniger… 😉
Gruppendruck entsteht immer dann, wenn (kleinere) Gruppen Verhaltensnormen vorgeben und überprüfen. In „Fun-Gilden“ will man keinen Gruppendruck, will keine festen Raid-Termine, keine „Vorstellungsgespräche“ für die DD-Position im Raid. So meine ich, auch eine Parallele in der Schwarzen Szene zu sehen, wo – begünstigt durch das Fehlen jungen Nachwuchses – die Leute „ihre Ruhe“ haben wollen (= Einfachheit).
Und auch Szene ist austauschbar, so wie mein Erlebnis mit der „Nachtjagd“: Die Gilde besteht noch, aber die Mitglieder sind mir unbekannt.
Mir ist da neulich folgendes Bild durch den Kopf gegangen. Ich hatte über die „Fluidität“ und „Labilität“ von (Jugend-)Szenen gelesen: sie müssen immer wieder aktiv reflektiert und konstituiert werden. So kam mir in den Sinn, ich würde vor einem großen Häuserblock stehen, nachts, alles dunkel. Doch vier Fenster sind beleuchtet. Da kann ich annehmen, daß dort Menschen anwesend sind; sie (bzw. die Aktivität „Licht einschalten“) sind sichtbar. Bei der Mehrheit der dunklen Fenster kann ich dazu keine Aussage treffen, denn ich weiß nicht, ob dort niemand zuhause ist, oder ob man irgendetwas im Dunkeln macht. Zur „Szene der Sichtbaren“ gehören nur die mit Außenwirkung (= Licht). Selbst wenn die anderen Leute zuhause sind, gehören sie für den Betrachter nicht zur „Szene“ der „Sichtbaren“, weil man sie gerade nicht sieht.
Das erinnert mich an einen Artikel zu einer Aussage von Steve vom Podcast Schwarzgesagt, wo ich für die „Unsichtbaren“ an ihren PCs (die sich als Teil der Szene fühlen) eine Lanze brach. Ich merke, daß sich meine Einstellung ändert. Szene muß sichtbar sein, sonst ist sie nicht. Im obigen Bild: die ohne Licht gehören für den Betrachter nicht zur „Szene der Sichtbaren“, selbst wenn sie sich dieser zuordnen würden, weil sie mit Taschenlampe unter der Bettdecke „Lost Souls“ lesen.
In diesem Sinne sind auch die Online-Aktivitäten der Gilden in Rollenspielen keine „Szenen“, weil sie nur im eigenen Dunstkreis erlebbar bzw. sichtbar sind. Wer weder Spiel-Client noch (gekaufte) Spielzeit hat, wird davon nichts mitbekommen.
Wenn ich in tiefschwarzen Klamotten abends im Eßzimmer zu Gothic Rock tanze, bin ich nicht Szene, sondern so eine Art Protagonist einer „Proto-Szene“. Ich bin Teil einer „schwarzen Ursuppe“, aus der sich dann etwas gestalten kann, wenn sie (ich!) für andere, für die Öffentlichkeit sichtbar, wahrnehmbar wird.
Somit gilt „Esse est percipi“ – Sein heißt Wahrgenommenwerden, ein subjektiv-idealistischer Ansatz für die Beschreibung von Schwarzer Szene.