Auf dem YT-Kanal SATI (69 Abonnenten, Stand 6.5., 8:00 Uhr) findet sich ein knapp halbstündiges Video zum Thema, ob Gothics/Grufties heute nur noch „ein Haufen konservativer Spießer“ seien (Link zum Video).
Der Sprecher sieht heute v.a. einen „Oma-Verein“, „konservative Spießer“, einen „traurigen Haufen von Spießern / Boomern“, „widerliche querdenkende Boomer“ oder „widerliche“ Aussagen von „heteronormativen CIS-Menschen“ – mithin kein Zusammengehörigkeitsgefühl in der Szene. (Oder noch nicht genug linke Dominanz.)
Sein Ausgangspunkt ist eine „linke, progressive“ Auffassung von Subkultur der 80er/90er, mit der dem „Spießbürgertum“ der Spiegel vorgehalten werden sollte. Man wollte „anders sein“, sich auch vom Konsum abgrenzen. Mit Kleidung, Schmuck und Schminke zeigte man der Gesellschaft die „Sterblichkeit“ vor.
Kurz werden der „Ausverkauf“ der Kultur/Musik an den Mainstream angeschnitten, die Crossover-Welle usw. Die gemeinsame Vorstellung vor der Jahrtausendwende habe ein Zusammengehörigkeitsgefühl erschaffen, das es so heute nicht mehr gebe.
Der Video-Macher bezieht sich dann auf Beiträge im WGT-Forum, in denen Unisex-Toiletten, Schlagermucke am Bierstand, frauenbelehrende Männer und die Sauberkeit der Hallenböden diskutiert werden.
Meine Einschätzung: wir haben hier natürlich einen klar linken Akteur, was ich neutral meine, der sich vor 2000 in der Szene wohlgefühlt hat, nun aber „darüber hinausgewachsen“ ist, weil er sich nicht kulturell beschränken lassen will. Er möchte hören, schauen, was er mag, ohne dies immer gothic re-framen zu müssen. Das seien „Fesseln“, das widerspreche dem eigentlichen „progressiven Geist der Subkultur“.
Letztlich stellt er damit die Frage, ob unsere heutige Gesellschaft noch Raum für echte Subkultur bietet. Ich meine: bietet sie, aber nicht mehr im linken Bereich. Subkultur findet heute rechts statt. Rechte Netzwerke – von Sportgemeinschaften zu Familiengruppen zu Siedlungsgemeinschaften – boomen, während der linke Mainstream jede andere Gesellschaftsschicht durchweicht – und eben auch die Gothic-Szene. Man denke an die linke Wahlwerbung des M’era-Luna-Festivals – gefeiert von etlichen Kommentatoren, die die wenigen Leute, die sich als AfD-Wähler outeten, gedisst haben aufs Feinste. Soviel zum Zusammengehörigkeitsgefühl oder Demokratieverständnis. (Auch das meine ich neutral; ich nehme wahr und benenne.)
Schwarze Szene ist nicht mehr Subkultur, weil der linke Mainstream nun alles verkörpert, was damals™ noch Avantgarde war. Damit steht die spannende Frage im Raum, was genau die heutige Gothic-Szene noch ausmachen soll.
Der Video-Macher kritisiert die Szene dafür, daß sie „krampfhaft“ darauf bestanden habe, unpolitisch zu sein; das habe rechten Einflüssen die Tür geöffnet. Ja, das mag so sein. Persönlich bin ich aber zutiefst davon überzeugt, daß nur in dieser unpolitischen Haltung ein echtes Fundament der Szene zu finden war. Denn das, was für mich Gothic ausmacht, die Themen Tod / Vergänglichkeit / Melancholie usw., ist menschlich, aber nicht politisch. In diesen Themen sind wir alle gleich. Ich bin überzeugt davon, daß es diese „schwarzen Seelen“ noch gibt, die verwundert auf das schauen, was aus der Szene geworden ist.
Ich finde es dennoch sehr schwer, das Problem konkreter zu benennen. Das hat auch mit Selbstzensur zu tun, weil ich politische Statements aus dem Blog eigentlich heraushalten möchte.
SATI hat mit Vielem recht, aber in einem Punkt widerspreche ich 100%: wir brauchen wieder das „elitäre“ Gefühl in der Szene, eine besondere Gruppe zu sein, die eher meditativ betrachtend auf die Gesellschaft schaut, auf ihre linken wie rechten Seiten/Ränder, aber im Grunde das dunkle, morbide Gemeinmenschliche nicht aus den Augen läßt. Tod, Vergänglichkeit, Schicksal – es gibt soviel, das wir thematisieren können. Es sind die großen Themen der Geschichte, aber doch die kleinen persönlichen Erlebnisse von Sieg oder grandiosem Untergang. Das bedeutet auch, daß die Szene Abstand gewinnen muß von der Überpolitisierung des Alltags. Den Anderen sein lassen, wie er/sie/xier ist, nicht belehrend sein (ja, ok, das ist dieser Text auch).
Und um mit einer ‚ewigen Vorhaltung‘ aufzuräumen: Es wird nie eine massive Unterwanderung ‚der Szene‘ von RÄÄCHHTS geben, vor 2000 nicht, heute nicht. Da war soviel Agitation in der Szene, die Gemeinsames zerstört hat. Jetzt stehen wir aber an einem Punkt, an dem die Szene zerfällt, weil sie nicht mehr ihr „Herzchakra“ findet – das ist für mich die unpolitische Verbundenheit in den dunklen Themen des Lebens.