Das Bestattungsgesetz ist schon länger in einer Novellierungsphase. Ich hatte dazu bereits einen Artikel angefangen, aber wußte nicht so genau, wie ich das letztlich beurteilen soll.
Stand aktuell ist: Im Oktober soll ein neues Bestattungsgesetz in Rheinland-Pfalz in Kraft treten. Das wird diese Woche beschlossen. Hier die wichtigsten Änderungen:
- Flußbestattungen in Rhein, Mosel, Saar und Lahn werden erlaubt. Dazu werden sich schnell auflösende Aschekapseln verwendet, damit keine Urnen angespült werden können.
- Abschaffung der Sargpflicht: Muslime (nicht nur) können ihre Toten in Tüchern bestatten.
- Asche darf weiterverarbeitet werden, z.B. zu Schmuck, sogenannten „künstlichen Diamanten“.
- Asche darf zuhause aufbewahrt werden, aber nicht nur in der Urne: man darf Asche auch im Garten verstreuen.
Dabei ist der Fokus auf den vorher festgelegten Wünschen der Verstorbenen: wer unterm eigenen Apfelbaum, so der SWR, bestattet werden möchte, dem soll das genehmigt werden. Es gehe nicht um die „freie Verfügbarkeit“ der Asche für jeden. Aber wie wird das kontrolliert?
Generell will man mit den Lockerungen dem sogenannten Bestattungstourismus entgegentreten. Bislang konnte man Tote in die Niederlande überführen, die Urne dort ausgehändigt bekommen und dann irgendwie wieder nach Deutschland bringen, was nicht legal war.
Kritik kommt von CDU und Kirchen. Zum einen wird darauf verwiesen, daß man mit so einer weitreichenden Lockerung Friedhöfe letztlich ganz abschaffen werde. Hier hatte ich im Sommer einen Kommentar gelesen, der auf die Neutralität von Friedhöfen hinwies: Selbst wenn es in einer Familie Streit gab, kann man die in der Regel 24 Stunden geöffneten Friedhöfe immer besuchen (Stichwort: Trauerort). Hat aber Familienmitglied A Streit mit B und C und die Urne zuhause, haben B und C möglicherweise keinen Zutritt zur Urne.
Hinzu kommt, daß Menschen eventuell aus Kostengründen eine reguläre Bestattung vermeiden wollen, daher wird die Urne dann zuhause eingelagert.
Zum anderen kommt gerade von den Kirchen die Kritik bzgl. der Totenruhe. Mitnehmen, Ausstellen, Verstreuen – das lasse sich nicht mit der Totenruhe (und ggf. Würde der verstorbenen Person) vereinbaren.
Christoph Gensch von der CDU verbindet diese Änderungen mit einem „grenzenlosen Individualismus“ (SWR-Artikel, s.o.).
Wie beurteile ich das? Wie könnte man es aus Sicht der Schwarzen Szene beurteilen?
Beginnen wir humorvoll: wenn immer mehr Menschen nicht auf einem Friedhof bestattet werden, wird die Anzahl an Friedhöfen langfristig abnehmen. Wohin geht man dann zum Vollmond-Rendezvous mit der/dem Liebsten?
Und die Asche in der im Gothic-Chic ausgestatteten Wohnung prominent in gruftiger Urne – hat was.
Doch was passiert, wenn die Bewohner dieser Wohnung selbst versterben, und die Wohnung z.B. zwangsgeräumt werden muß? Wieviele Urnen ‚wandern‘ dann in den Restmüll? Und das kann auch den besagten „Apfelbaum“ betreffen, wenn die Bewohner das Haus verkaufen (müssen). Dann wohnt da eben nicht mehr die eigene Familie… Die Käufer müssen umgekehrt mit dem Gedanken leben, daß da jemand in ihrem Garten bestattet wurde.
Das wird bei Schmuck aus Asche noch schwieriger…
Fakt ist: wer von der Friedhofspflicht weggeht, gibt immens viel Kontrolle darüber auf, was mit der Asche der Verstorbenen passiert. Braucht ‚man‘ diese Kontrolle? An genau diesem Punkt bin ich sehr zwiegespalten.
Zum einen befürworte ich eigenverantwortliches Handeln und individuelle Entscheidungen, die für Angehörige bindend sind. Ich bin Freigeist, der immer wieder mit seinen Gedanken aneckt. Ich will entscheiden können, weitreichend und über meine Person. Auch ich werde mir, wenn das Gesetz in Kraft ist, überlegen, ob und wie ich meine Bestattungsvorsorge abändern möchte.
Zum anderen sind die Totenruhe und die Würde der Verstorbenen für mich hohe Werte. Ich habe z.B. seinerzeit die Ausstellung Körperwelten boykottiert und aktiv dagegen gesprochen, weil ich die Ausstellung der präparierten Toten (die ja auch vorher zugestimmt hatten) nicht als mit der Totenruhe vereinbar empfand. (In den 90ern sind neben den gezeichneten Anatomie-Atlanten auch solche mit Fotos herausgekommen. Für mich war das ausreichend – man mußte nicht noch Leichen ausstellen.)
Allerdings muß man auch sagen: was RLP jetzt ändert betrifft auf der einen Seite Wünsche, die vorab festgelegt wurden, auf der anderen Seite ein eher privates Umfeld: Aufbewahrung der Urne zuhause, Verstreuen im Garten…
Ich merke beim Nachdenken: für mich möchte ich Freiheiten genießen, habe aber Bedenken, was andere aus diesen Freiheiten machen, wobei für mich nicht die ‚Anderen‘ im Fokus sind, sondern die Verstorbenen und ihre Totenruhe.
Letztlich hängt die Regelung davon ab, wie genau man es mit diesen Vorab-Wünschen der dann verstorbenen Personen nimmt. Wenn irgendein Zettel mit krakeliger Unterschrift reicht, braucht man gar nichts zu kontrollieren… Also muß eine klare Regelung her, idealerweise eine notarielle Urkunde. Und für alle, die das nicht haben: Friedhofspflicht.
Nachtrag 12.9.25: Das neue Gesetz bzw. die Aktualisierung ist beschlossen worden. Noch etwas ist mir eingefallen: Ich vermute, daß nun auch Bestattungen weniger werden. Ich war heute zu einer Beerdigung. Das ist für alle eine unliebsame Sache – wer geht schon gern zu Beerdigungen?! Die Familie mag das Spalier-Laufen am Grab nicht und schreibt gern vorher in die Todesanzeige: „Von Beileidsbekundungen am Grab bitten wir Abstand zu nehmen.“ Umgekehrt nehmen viele Menschen nicht gerne an Beerdigungen teil. Auch heute wieder die typischen „Kurzzeit-Trauernden“, die erst am Friedhof ankommen, wenn alle schon in der Kapelle verschwunden sind. Wenn die Urne zum Grab getragen wird, achten sie darauf, daß sie gesehen werden, gehen dann aber nicht mehr mit zum Grab sondern nach Hause. Ich glaube, daß viele Leute sagen werden: das schenke ich mir. Wenn dann vorher festgelegt wurde, die Urne soll im Haus eingelagert werden, brauch man auch keine Beerdigung.
Überhaupt: sowohl Bestattungskultur als auch Friedhofskultur haben sich mächtig gewandelt. Diejenigen, die bei einer Beerdigung noch die Gebete sprechen (können), sind in der Minderheit. Und die gerade in kleinen (katholischen) Orten immer sehr intensiv betriebene Grabpflege läßt auch nach. Es wäre spannend, darüber mal genauer nachzudenken. Was hat sich verändert?